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Vorlage - 052/04  

 
 
Betreff: Zukunft der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen
Status:öffentlich  
Federführend:D e z e r n a t V   
Beratungsfolge:
Kreistag Vorberatung
23.03.2004 
Sitzung des Kreistags zur Kenntnis genommen   

Antrag der Verwaltung:

 

Kenntnisnahme


Sachverhalt/Begründung:

 

I. Ausgangssituation und Allgemeines

 

Die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach dem Bundessozialhilfegesetz ist in Baden-Württemberg seit Jahren ein Aufgaben- und Ausgabenschwerpunkt der beiden Landeswohlfahrtsverbände, die die Aufgabe als überörtliche Sozialhilfeträger ausführen.

 


Im Haushalt der beiden Landeswohlfahrtsverbände stellt die Eingliederungshilfe den mit Abstand größten Ausgabenblock (rd. 75 %) dar. Allein der Landeswohlfahrtsverband Württemberg-Hohenzollern rechnet für die nächsten 10 bis 15 Jahre mit einem jährlichen Anstieg von rd. 900 neuen Fällen pro Jahr; die Kosten der Eingliederungshilfe werden somit weiter dramatisch steigen. Die Mehraufwendungen hierfür, also nur für die steigenden Fallzahlen, werden landesweit über 60 Mio. € pro Jahr liegen.

 

 

 

Entwicklung der Eingliederungshilfe LWV Württemberg-Hohenzollern (Entwurf Haushaltsplan 2003) 1995 - 2006 Bruttoaufwand in Mio. €

 

Vor diesem Hintergrund und im Zusammenhang mit der Erörterung der Finanzlage der Kommunen haben die Kommunalen Landesverbände und die Landeswohlfahrtsverbände konkrete Schritte zur Verbesserung der Finanzausstattung, zur Reduzierung von Leistungsstandards und zur Aufhebung von gesetzlichen Leistungsansprüchen vom Land gefordert. Das Sozialministerium hat sich daraufhin bereit erklärt, mit Blick auf den Bund initiativ zu werden. Es will gemeinsam mit den Kommunalen Landesverbänden eine Konzeption zur Zukunft der Eingliederungshilfe erstellen, deren wesentliche Zielrichtung eine stärkere Eigenbeteiligung der Betroffenen und damit Wiederherstellung des Nachrangprinzips der Sozialhilfe und eine Beteiligung des Bundes an den Kosten der Eingliederungshilfe ist.

 

Der Landkreistag Baden-Württemberg hat die Erstellung einer gemeinsamen Konzeption grundsätzlich befürwortet, unabhängig davon jedoch das Land aufgefordert, zur finanziellen Entlastung der Sozialhilfeträger bei der Eingliederungshilfe beizutragen bzw. einen eigenen Finanzierungsbeitrag zu leisten.

 

Mit der Auflösung der beiden Landeswohlfahrtsverbände zum 31.12.2004 haben die Stadt- und Landkreise künftig die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen als örtliche Sozialhilfeträger zu leisten. Dieses Aufgabenfeld wird eine zentrale Herausforderung für den Kreistag, die Verwaltung des Ostalbkreises und auch für die Kreisfinanzen sein. Deshalb, nicht zuletzt jedoch auch mit Blick auf die sozialpolitische Bedeutung dieses Themas werden mit dieser Vorlage u.a. die aus Sicht der Verwaltung wichtigsten Eckpunkte einer Reform der Eingliederungshilfe aufgezeigt.

 

II. Aufgaben- und Problembeschreibung

 

1. Grundsätzliches

 

Die Eingliederungshilfe ist eine Hilfe in besonderen Lebenslagen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) und stellt somit neben der klassischen Hilfe zum Lebensunterhalt eine Leistung der Sozialhilfe dar. Sie wird in erster Linie an Personen geleistet, die bereits mit einer Behinderung geboren wurden oder deren Behinderung in der Kindheitsphase oder im Erwachsenenalter durch Krankheit oder Unfall eingetreten ist. Für die Leistungen der Eingliederungshilfe gilt, wie für alle Sozialhilfeleistungen, der Grundsatz des Nachrangs. Für seelisch behinderte Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene ist die Jugendhilfe vorrangig zuständig.

 

Die Eingliederungshilfe verfolgt das Ziel, behinderte Menschen oder von einer Behinderung bedrohte Menschen zu befähigen, ein aktives Leben in der Gesellschaft zu führen. Ausgangspunkt für den Personenkreis der Hilfeberechtigten ist der im SGB IX enthaltene Behindertenbegriff. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilnahme am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist.

 

Einen Rechtsanspruch auf Eingliederungshilfe haben behinderte Personen, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalls, vor allem nach Art oder Schwere der Behinderung Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann.

 

Bei dem weitaus größten Teil der auf Eingliederungshilfe angewiesenen Menschen handelt es sich um geistig und mehrfach behinderte Kinder, Jugendliche und Erwachsene, bei denen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben nicht allein von der Beseitigung baulicher und sonstiger Barrieren abhängig ist. Bei diesem Personenkreis besteht das Ziel der Hilfe darin, durch individuelle Angebote das ihnen mögliche Maß an Selbstständigkeit und Selbstbestimmung zu erreichen, sie in ihrer Weiterentwicklung zu unterstützen und ihnen ein Leben zu ermöglichen, das sich möglichst weitgehend an der Lebenswelt nichtbehinderter Menschen orientiert.

 

Bei diesen Hilfen geht es insbesondere um:

 

Behinderte Kinder die im Vorschulalter eine spezielle Betreuung in einer heilpädagogischen Tageseinrichtung erhalten;

 

behinderte Jugendliche und junge Erwachsene, die Hilfen zur Schul- und Berufsausbildung erhalten;

 

behinderte Menschen, die Hilfe zur Beschäftigung in einer Werkstatt mit Arbeitsplätzen für behinderte Menschen erhalten;

 

behinderte Menschen, die eine Betreuung in einem dafür baulich und personell besonders ausgestatteten Wohnheim oder einer größeren Behinderteneinrichtung erhalten.

 

Neben diesen Hilfen geht es ferner um Leistungen der medizinischen Rehabilitation, die Versorgung mit Körperersatzstücken sowie mit orthopädischen oder mit anderen Hilfsmitteln  und um sonstige Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft.

 

2. Trägerschaft und Finanzierungszuständigkeit

 

In Deutschland sind - je nach landesrechtlicher Regelung - entweder die Länder oder die Kommunen für die Erbringung der Eingliederungshilfe zuständig. Von Bedeutung sind dabei auch die historisch entstandenen oder institutionell bedingten strukturellen Unterschiede zwischen den Trägern der Sozialhilfe. Hierzu zählen insbesondere die Unterschiede zwischen Flächenstaaten und Stadtstaaten.

 

Ebenso ist die Finanzierung der Eingliederungshilfe in den Ländern unterschiedlich geregelt. In Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Sachsen wird die Eingliederungshilfe unmittelbar aus Kommunalen Mitteln finanziert. Anteilmäßig aus Kommunal- und Landesmitteln wird die Eingliederungshilfe in den Ländern Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Thüringen finanziert. In Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Saarland und Sachsen-Anhalt erfolgt die Finanzierung rein aus Landesmitteln. Die Aufwendungen der ambulanten Eingliederungshilfe werden von länderspezifischen Ausnahmen abgesehen in der Regel von den örtlichen Trägern der Sozialhilfe und somit kommunal finanziert.

 

Eine direkte Beteiligung des Bundes an den Kosten der Eingliederungshilfe gibt es bislang nicht.

 

III. Zielsetzungen

 

1. Allgemeines

 

Die Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen muss mehreren Zielsetzungen gerecht werden. Es müssen auch künftig bedarfsgerechte Versorgungsstrukturen zur Verfügung gestellt werden, mit denen die steigende Personenanzahl adäquat betreut und versorgt werden kann. Die gesellschaftliche Teilhabe behinderter Menschen ist durch Hilfen, die sich an Selbstständigkeit, Selbsthilfe und Selbstbestimmung orientieren, zu unterstützen, insbesondere die Verstärkung ambulanter Betreuungsformen kann hierzu einen wichtigen Beitrag leisten.

 

Darüber hinaus bedarf es aber auch der Schaffung langfristig tragfähiger Finanzierungsgrundlagen. Die Kostendynamik der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen ist ein bundesweites Problem. Die steigende Finanzierungslast kann von den Kommunen nicht mehr bewältigt werden. Es müssen deshalb zum einen Überlegungen angestellt werden, wie der Gesamtaufwand insgesamt finanzierbar gehalten werden kann. Dabei müssen einzelne Vorschriften auf ihre soziale Treffsicherheit überprüft und verändert werden. Es muss z.B. überprüft werden, wo  die  Eigenverantwortung wieder  stärkeres  Gewicht  erhalten  kann, was  letztlich eine Erhöhung des Finanzierungsbeitrags  der Betroffenen bedeutet. Schließlich ist - als wichtigste Maßnahme -  eine Beteiligung des Bundes und des Landes an den steigenden Kosten der Eingliederungshilfe nötig.

 

 

2. Weiterentwicklung der Versorgungsstrukturen

 

Wohn- und Betreuungsmöglichkeiten für behinderte Menschen sollen so gestaltet werden, dass diese sich ihren individuellen Fähigkeiten und Möglichkeiten entsprechend entfalten und entwickeln können. Sie sollen die dafür notwendigen Hilfen, Unterstützungen und gegebenenfalls Pflege erhalten, um möglichst unabhängig von fremder Hilfe selbstständig leben zu können. Wann immer es geht, ist die Hilfe in ihrem Lebens- und Sozialrahmen nach dem Grundsatz “ambulant vor stationär” zu erbringen.

 

Die Behindertenhilfe hat die Eingliederung der behinderten Menschen in die Gemeinschaft zum Ziel. Leistungen sind so zu planen und zu gestalten, dass die Betroffenen nach Möglichkeit nicht von ihrem sozialen Umfeld getrennt werden. Die anzubietenden Hilfen müssen den Personen folgen und soweit wie möglich an deren Wohnort bzw. im Lebensumfeld erbracht werden.

 

Die Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben ist zu verbessern. Anspruch auf Beschäftigung behinderter Menschen ist jedoch nicht aus Mitteln der Sozialhilfe zu finanzieren. Qualifizierungsmaßnahmen und Anreize zur Beschäftigung behinderter Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt müssen als Instrumente der Arbeitsförderung intensiviert werden.

 

3. Neuordnung der Finanzierungsgrundlagen

 

Aufgrund der bekannten Entwicklung der Fallzahlen, des Finanzvolumens sowie der prognostizierten Entwicklung wurde bereits in den letzten Jahren zurecht immer stärker die Forderung nach einer finanziellen Beteiligung bzw. der vollständigen Übernahme der gesamten Kosten der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen durch den Bund und die Länder erhoben. Zum einen hat der Bundesgesetzgeber in den letzten Jahren und Jahrzehnten durch ständige Verbesserungen der Leistungen für behinderte Menschen sowie Einschränkung der Heranziehungsregelungen nach dem Bundessozialhilfegesetz und weitgehenden Schutz der unterhaltspflichtigen Angehörigen entscheidend zur Kostenexplosion beigetragen. Entsprechend dem Konnexitätsprinzip muss er deshalb für eine tragfähige Finanzierung der Kosten der Eingliederungshilfe sorgen. Zum anderen hat sich die Eingliederungshilfe in der Sozialhilfe zwischenzeitlich de facto zu einem eigenständigen Leistungsbereich entwickelt, was mit dem Nachrangprinzip der Sozialhilfe nicht mehr in Übereinstimmung zu bringen ist.

 

Aber auch das Land darf sich nicht der Verantwortung entziehen. Der baden-württembergische Landkreistag hat zum wiederholten Male vom Land dringend eine Handlungsstrategie eingefordert, um Leistungsansprüche zurückzufahren und Bundes- und Landesmittel in die Finanzierung der Behindertenhilfe einzubringen.

 

Unabhängig von den Forderungen an den Bundes- und Landesgesetzgeber, ist es unabdingbar, den Nachrang von Sozialhilfeleistungen und die Eigenverantwortung des Einzelnen zu stärken.

 

Nach § 2 des Bundessozialhilfegesetzes erhält Sozialhilfe nicht, wer sich selbst helfen kann oder die erforderlichen Hilfen von anderen, besonders von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Im BSHG bestehen mittlerweile zahlreiche Regelungen zum Einsatz von Einkommen und Vermögen sowie zur Heranziehung unterhaltspflichtiger Angehöriger nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch, die mit den Grundsätzen der Selbsthilfe und dem Charakter der Sozialhilfe als Mindestsicherungssystem nicht mehr in Einklang zu bringen sind. Der vorrangige Einsatz von Einkommen und Vermögen Hilfesuchender und die Heranziehung Unterhaltspflichtiger ist erheblich eingeschränkt worden. Dadurch sind im BSHG heute Leistungsbestimmungen enthalten, die sich in diesem Punkt kaum noch von anderen Leistungsgesetzen unterscheiden, obwohl das BSHG auf dem Fürsorgeprinzip beruht, wohingegen anderen Sozialleistungen das Versicherungs- oder Versorgungsprinzip zugrunde liegt. Besonders gilt dies für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, aber auch für die Teilhabe am Arbeitsleben.

 

Der teilweise oder sogar volle Verzicht auf Umsetzung des Nachrangs bei der Heranziehung von Einkommen und Vermögen der Hilfesuchenden und den Unterhaltspflichtigen bringt mit jedem zusätzlichen Schritt der Gesetzgebung in diese Richtung finanzielle Mehrbelastungen für die Träger der Sozialhilfe. Es ist zum Beispiel nicht nachvollziehbar, dass die staatlich gezahlten Kindergeldleistungen nicht für den Lebensunterhalt behinderter Kinder einzusetzen sind, wenn Eltern diese Aufgabe in staatliche Hände ganz oder teilweise übertragen.

 

Der Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe sowie der vorrangigen Selbsthilfemöglichkeiten durch Einsatz von Einkommen, Vermögen und Erbe sowie die Heranziehung Unterhaltspflichtiger und vorrangige Leistungspflicht anderer Sozialleistungsträger (z.B. gesetzliche Krankenversicherung und soziale Pflegeversicherung) muss deutlicher als bisher realisiert werden.

 

 

IV. Zusammenfassung und Ausblick

 

Angesichts der dramatischen Situation der kommunalen Haushalte müssen sich Bund und Land schnellst möglich des drängenden Problems der Kostenentwicklung in der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen annehmen. Der baden-württembergische Landkreistag rechnet innerhalb der nächsten 10 Jahre annähernd mit einer Verdopplung der heutigen Ausgaben. Daher wird vom Land zum wiederholten Male dringend eine Handlungsstrategie eingefordert, um Leistungsansprüche zurückzufahren und Bundes- und  Landesmittel  in die Finanzierung einzubringen. Die Kreishaushalte sind bisher schon über Gebühr mit Sozial- und Jugendhilfeausgaben belastet. Angesichts der aufgezeigten Fall- und Kostenentwicklung in der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen ist - sofern Bund und Land nicht gegensteuern - ein weiterer deutlicher Anstieg der Kreisumlagen unabwendbar. Dies kann von den Kommunen nicht mehr verkraftet werden.

 

Die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen wird künftig ein Schwerpunkt im sozialen Aufgabenkatalog des Ostalbkreises sein. Die Verwaltung wird deshalb im Sozialausschuss und im Kreistag aktuell über Entwicklungen und Herausforderungen berichten.

 


 


 

Sichtvermerke:

 

Fachdezernent__________________________________________________

Rettenmaier

 

Hauptamt__________________________________________________

Wolf

 

Kämmerei__________________________________________________

Hubel

 

Landrat__________________________________________________

Pavel