Bürgerinformationssystem
Antrag der Verwaltung
Der Ausschuss für Soziales und Gesundheit nimmt den Bericht zum aktuellen Stand im Projekt „Primärversorgung im Ostalbkreis“ zur Kenntnis und stimmt einer finanziellen Förderung des Landkreises in Höhe von insgesamt 37.000 € für die Weiterführung des Einsatzes der Patientenlotsinnen und der Gemeindeschwester im Gesundheitsnetz Schwäbischer Wald zu.
Sachverhalt/Begründung
Hintergrund Der Ostalbkreis setzt sich gemeinsam mit den Ärzteschaften Aalen und Schwäbisch Gmünd sowie den Kommunen für die Sicherstellung einer hochwertigen ambulanten medizinischen Versorgung ein. Ein Fokus wird dabei auf den von der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg definierten hausärztlichen Planungsbereich „Schwäbischer Wald“ gelegt. Grund dafür ist, dass dort im Oktober 2022 offiziell eine hausärztliche Unterversorgung festgestellt wurde. In der ländlich geprägten Raumschaft, in der etwa 32.500 Bürgerinnen und Bürger leben, sind aktuell nur 14 von 23 Hausarztsitzen besetzt. Damit ist der Schwäbische Wald der am schlechtesten hausärztlich versorgte Planungsbereich in Baden-Württemberg. Um die Gesundheitsversorgung der Bürgerinnen und Bürger im Schwäbischen Wald zu verbessern, hat sich der Ostalbkreis 2020 und 2022 erfolgreich auf die Förderaufrufe des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg zum Aufbau von Primärversorgungsnetzwerken beworben. Mit dem Ziel, die Kommunikation und Kooperation von Akteuren aus dem Gesundheits- und Sozialwesen zu verbessern, wurde in der ersten Förderphase des Projekts „Primärversorgung im Ostalbkreis“ das multiprofessionelle und sektorenübergreifende „Gesundheitsnetz Schwäbischer Wald“ aufgebaut, das inzwischen 32 Mitglieder hat. Zu diesen gehören u.a. sieben Hausarztpraxen, die Kliniken Ostalb, acht ambulante Pflegedienste und Sozialstationen, drei Sanitätshäuser, zwei Physiotherapiepraxen und eine Ernährungsberaterin. Durch die Versorgung aus einer Hand und die bessere Koordination von Leistungen soll ein kontinuierlicher Behandlungsprozess ermöglicht werden. Zielgruppe des Projekts sind insbesondere chronisch kranke und multimorbide Personen mit komplexen Versorgungsbedarfen. Die erste Förderphase wurde vom Studienbereich Gesundheitsmanagement der Hochschule Aalen evaluiert (siehe Anlage).
In der zweiten Förderphase (01.07.2022 bis 31.07.2024) wird das Gesundheitsnetz durch den Einsatz von zwei Patientenlotsinnen und einer Gemeindeschwester weiterentwickelt. Dabei handelt es sich um examinierte Pflegefachkräfte, die mit jeweils 20 Stunden pro Woche bei der hausärztlichen Genossenschaft MEDWALD eG angestellt sind, welche das Medizinische Versorgungszentrum in Durlangen betreibt. Die Ergebnisse der Evaluation, die in dieser Förderphase das Institut für Allgemeinmedizin des Universitätsklinikums Ulm durchführt, werden im Sommer 2024 erwartet.
Patientenlotsinnen
Die beiden Patientenlotsinnen sind seit November 2022 im Gesundheitsnetz tätig. Sie unterstützen Patientinnen und Patienten, indem sie deren Versorgungsprozess koordinieren. Sie übernehmen organisatorische Aufgaben, wie z.B. die Vereinbarung von Arztterminen, das Ausfüllen von Formularen und Anträgen sowie die Organisation von Hilfsmitteln oder von Krankentransporten. Diese Tätigkeit wird Case Management genannt und ist bislang noch keine Regelleistung der gesetzlichen Krankenversicherung. Im Zuge des Förderprojekts sind diese Leistungen für Patientinnen und Patienten im Schwäbischen Wald aber gänzlich kostenfrei. Insbesondere Personen, die mehrere Krankheiten haben, nur wenig Unterstützung von Angehörigen erhalten und nicht mehr mobil sind, können von den Leistungen der Patientenlotsinnen profitieren. Bei einem ersten Hausbesuch informieren sich die Lotsinnen über die Lebenssituation der Patientinnen und Patienten und erstellen einen Hilfeplan. Gemeinsam mit den Mitgliedern des Gesundheitsnetzes wird dann eine ganzheitliche und qualitativ hochwertige Versorgung sichergestellt. Fallbeispiel:
Ein Ehepaar, beide über 80 Jahre alt, wird seit August 2023 von den Patientenlotsinnen betreut. Die Frau erlitt einen Schlaganfall, aufgrund dessen ihre Mobilität stark eingeschränkt ist. Zudem leidet sie u.a. unter einer Krebserkrankung, Parkinson und ist insulinpflichtige Diabetikerin. Ihr Ehemann leidet unter einer Alzheimererkrankung mit Gedächtnisstörungen, Desorientiertheit und Verminderung der Alltagsfähigkeiten. Seine Frau kann sich aufgrund ihrer Einschränkungen nicht adäquat um ihn kümmern. Auch die Angehörigen sind nicht in der Lage, eine gute Versorgung sicherzustellen. Die Lotsinnen kümmerten sich u.a. um Pflegegradanträge, um einen Treppenlift und Haltegriffe im Badezimmer sowie um Termine für die Chemotherapie und Bestrahlung. Zudem wurden ein Pflegedienst, eine Haushaltshilfe und Kostenübernahmen durch die Krankenkasse organisiert. Da eine Lotsin eine auffällige Wucherung bei der Ehefrau entdeckte, bemühte sie sich um einen kurzfristigen Hautarzttermin und kümmerte sich um den Transport zur Praxis. Die Wucherung stellte sich als schnell wachsender Tumor heraus, sodass eine Krankenhauseinweisung und eine Operation folgten. Die Patientin wäre aufgrund ihrer Immobilität nicht in der Lage gewesen, einen Arzttermin wahrzunehmen, sodass der Tumor wahrscheinlich schnell gewachsen wäre und sich im schlimmsten Fall Metastasen gebildet hätten. Regelmäßige Hausbesuche durch den zuständigen Hausarzt waren aufgrund fehlender Kapazitäten nicht möglich. Für den Zeitraum des Krankenhausaufenthalts der Frau wurde ein Kurzzeitpflegeplatz für den Ehemann organisiert.
Gemeindeschwester
Um die Hausärztinnen und -ärzte im Schwäbischen Wald bei der medizinischen Grundversorgung zu unterstützen, ist im Gesundheitsnetz seit Mai 2023 zusätzlich eine Gemeindeschwester tätig. Die examinierte Pflegefachkraft hat einen Bachelorabschluss im Bereich Gesundheitsförderung und führt v.a. Hausbesuche durch. Sie übernimmt Kontrolluntersuchungen und Routinebehandlungen, die von sieben kooperierenden Hausarztpraxen an sie delegiert werden. Außerdem unterstützt sie bei der Therapie von Bagatellerkrankungen und berät zu den Themen Gesundheitsförderung und Prävention, wie etwa zur Sturzprophylaxe und zu gesunder Ernährung. Auch bei der Medikamenteneinnahme und beim Selbstmanagement chronischer Erkrankungen steht sie den Patientinnen und Patienten unterstützend zur Seite. Ein großer Fokus ihrer Tätigkeit liegt zudem auf der psychosozialen Betreuung von Personen mit seelischen Problemen. Über ihre Tätigkeiten hält sie regelmäßig Rücksprache mit den kooperierenden Hausärztinnen und -ärzten. Fallbeispiel:
Die Gemeindeschwester betreut seit August 2023 eine Frau Mitte 40, die ihr aufgrund von psychischen Problemen von einem Hausarzt überwiesen wurde. Die Patientin litt unter beruflichen und familiären Belastungssituationen, weshalb vom Hausarzt eine psychosoziale Betreuung in Form regelmäßiger Gesprächskontakte gewünscht war. Nach einer überraschenden Kündigung wurde bei der Frau eine leichte Depression diagnostiziert, woraufhin ihr Antidepressiva verschrieben wurden. Sie litt unter massiven Schlafstörungen, Ängsten und Erschöpfung und war deshalb seit mehreren Monaten krankgeschrieben. Eine Berufstätigkeit traute sie sich selbst nicht mehr zu und für Bewerbungen fehlte ihr die Kraft. Aufgrund ihrer Hoffnungslosigkeit isolierte sie sich immer mehr. Die Gemeindeschwester konnte ihr durch Gespräche und Tipps zu den Themen Selbstwirksamkeit, Stressbewältigung, Resilienz und gesunde Ernährung weiterhelfen. Durch regelmäßige Spaziergänge, Entspannungstechniken und den Aufbau sozialer Kontakte fühlte sich die Patientin nach drei Monaten dazu in der Lage, Bewerbungen zu schreiben. Erfreulicherweise erhielt sie eine Zusage für ihre Wunschstelle und benötigt heute weder Kranken- und Arbeitslosengeld noch Psychopharmaka und Schlaftabletten. Auch der zuständige Hausarzt bemerkte die deutlich gesteigerte Lebensfreude seiner Patientin und äußerte im Gespräch mit der Gemeindeschwester „Frau X ist ja wie ausgewechselt, wie haben Sie das denn geschafft?“.
Weitere Daten und Fakten zum Projekt
Fazit Durch den Einsatz der Patientenlotsinnen und der Gemeindeschwester wird die Versorgungssituation für die Bürgerinnen und Bürger im Schwäbischen Wald verbessert. Auffällig ist, dass viele Patientinnen und Patienten nicht wissen, welche Unterstützungsleistungen es in der Region gibt oder Probleme damit haben, die teilweise hohen Barrieren zu überwinden, um die Leistungen in Anspruch zu nehmen. Die Lotsinnen verbessern durch ihre Tätigkeit den Zugang zu diesen Leistungen. Die Gemeindeschwester trägt dazu bei, dem großen Bedarf an Prävention und Gesundheitsförderung sowie psychosozialer Unterstützung zu begegnen, der sich v.a. aufgrund von langen Wartezeiten für Psychotherapieplätze ergibt. Von Angehörigen, Hausärztinnen und Hausärzten sowie Pflegediensten wird rückgemeldet, durch die Lotsinnen und die Gemeindeschwester entlastet zu werden. Das Angebot hat sich in der Region etabliert. Da die Förderung des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg Ende Juli 2024 ausläuft, kann die Finanzierung der Gehälter der Lotsinnen und der Gemeindeschwester nicht mehr sichergestellt werden. Das Bundesgesundheitsministerium hat angekündigt, mit dem Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz noch dieses Jahr rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen zu schaffen, um Tätigkeiten wie die der Lotsinnen und der Gemeindeschwester in die Regelversorgung zu überführen.
Finanzierung und Folgekosten
Um die Weiterführung des Einsatzes der Patientenlotsinnen und der Gemeindeschwester im Gesundheitsnetz Schwäbischer Wald von August 2024 bis Dezember 2024 zu gewährleisten, übernimmt der Landkreis die Kosten für deren Gehälter sowie deren Fahrtkosten in Höhe von insgesamt 37.000 € (Kostenstelle 4140010001).
Anlagen Abschlussbericht der 1. Förderphase des Projekts „Primärversorgung im Ostalbkreis“ Flyer Patientenlotsinnen Flyer Gemeindeschwester
Sichtvermerke
gez. Schönsee, GB Gesundheit gez. Urtel, Dezernat V gez. Kurz, Dezernat II gez. Dr. Bläse, Landrat
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