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Vorlage - 151/2023  

 
 
Betreff: Erziehungsberatung im Ostalbkreis
Status:öffentlich  
Federführend:Geschäftsbereich Jugend und Familie   
Beratungsfolge:
Gemeinsame Sitzung des Ausschusses für Soziales und Gesundheit und des Jugendhilfeausschusses Entscheidung
10.10.2023 
Gemeinsame Sitzung des Ausschusses für Soziales und Gesundheit und des Jugendhilfeausschusses ungeändert beschlossen   

Antrag der Verwaltung

 

Die Erziehungsberatung im Ostalbkreis wird um 1,5 Personalstellen aufgestockt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Sachverhalt/Begründung

 

Beratungsverbund Ostalbkreis

 

Seit fünfundsiebzig Jahren gibt es Erziehungsberatung im Ostalbkreis.

Erziehungsberatung ist eine Leistung der Kinder- und Jugendhilfe, die in § 28 Sozialgesetzbuch (SGB) VIII geregelt ist. Ein Personensorgeberechtigter hat einen Leistungsanspruch, wenn eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist. Darüber hinaus haben Kinder und Jugendliche nach § 8 SGB VIII Anspruch auf Beratung ohne Kenntnis des Personensorgeberechtigten, solange durch die Mitteilung an den Personensorgeberechtigten der Beratungszweck vereitelt würde. Die Leistungen von Erziehungs- und Familienberatungsstellen stehen auch für Junge Volljährige nach § 41 SGB VIII zur Verfügung. Die Erziehungsberatung kann auch als ambulante Hilfe im Rahmen der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII in Betracht kommen. Anspruchsberechtigt ist in diesem Fall der junge Mensch selbst.

Die Zuständigkeit für Angebote der Erziehungsberatung liegt bei den örtlichen Trägern der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe (§§ 69, 85 SGB VIII). Diese sollen gemäß § 79 SGB VIII gewährleisten, dass Erziehungsberatung im Zuständigkeitsgebiet rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung steht. Sie kooperieren hierzu gemäß § 4 SGB VIII mit den Trägern der freien Kinder- und Jugendhilfe.

 

Mit ihrem präventiven Grundverständnis und ihrem niedrigschwelligen Zugang erreicht Erziehungsberatung deutlich frühzeitiger als andere Erziehungshilfen die Familien in Krisen und schwierigen Lebenssituationen. So trägt Erziehungsberatung zur Vermeidung intensiver und stark in das Familienleben eingreifender Erziehungshilfen bei, indem die Erziehungskompetenz der Eltern und die Sozialkompetenz sowie die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder und Jugendlichen gestärkt und Resilienzfaktoren unterstützt werden.  So bewältigen Familien durch Erziehungsberatung Konflikte und Krisen rechtzeitig, bevor sich diese manifestieren und teil- oder vollstationäre Hilfen unausweichlich werden.

 

Zwar ist die Erziehung von Kindern primär Aufgabe der Eltern, doch der Staat ist in Form von Jugendhilfe verpflichtet, dort zu unterstützen, wo die Entwicklung von Kindern gefährdet ist. Die Zunahme der Bedarfe und Fallzahlen ist sowohl durch entsprechende Studien als auch durch das hohe Niveau von Inobhutnahmen belegt. Gleichzeitig wissen wir aus der Erfahrung und den Evaluationsstudien (vgl. https://www.bvke.de/projekte/wir.eb-2.0/wir.eb-2.0), dass Jugendhilfemaßnahmen, die frühzeitig von den Eltern selbst eingefordert werden, wertvoller und nachhaltiger sind als spätere Maßnahmen, wie z. B. ambulante Einzelmaßnahmen wie sozialpädagogische Familienhilfe, teilstationäre oder sogar stationäre Hilfen.

 

Im Ostalbkreis werden ambulante Hilfen vor stationären Jugendhilfeangeboten bevorzugt angeboten. Auch Erziehungs- und Familienberatung ist ein wichtiger Mosaikstein. Derzeit bieten vier Träger diese Jugendhilfeleistung in den drei großen Kreisstädten Aalen, Schwäbisch Gmünd und Ellwangen und für deren Umfeld flächendeckend an.

 

 

Das breite Basisangebot an psychologisch-pädagogischen Beratungsleistungen in jeder ein-zelnen Stelle muss vor Ort gewährleistet sein. Daneben hat jede der vier Beratungsstellen weitere Beratungsschwerpunkte:

 

 

Name

Personal-

bestand

Integrierte Fachstellen mit

weiteren

Stellenanteilen

Träger

 

 

Ökumenische Psychologische Beratungsstelle Aalen

1,5

Psychologische Ehe-Paar- und

Lebensberatung

Diözese Rottenburg-Stuttgart, Kreisdiakonieverband

Ostalbkreis

 

 

Psychologische Beratungsstelle für Eltern,

Kinder, Jugendliche und

Familien in

Ellwangen

1,5

Fachdienst des Zentrums für

Eltern, Kinder,

Jugendliche und Familien

Stiftung Kinder- und Jugenddorf Marienpflege Ellwangen

 

Systemisches

Zentrum für Kinder,

Jugendliche und

Familien

 

 

Erziehungs- und Familienberatung in den

Canisius-Beratungsstellen in Schwäbisch Gmünd

3,5

Interdisziplinäre Frühförderung, Kinderschutz-zentrum Ostalb

Franz-von-Assisi

Gesellschaft

Kinder- und

Jugendhilfe

 

Erziehungs- und Familienberatungsstelle Landratsamt Ostalbkreis in Aalen

4,05

Kontaktstelle

gegen sexuellen Missbrauch

Landratsamt

Ostalbkreis

 

 

Der Zusammenschluss der Beratungsstellen zu einem kreisweiten Beratungsverbund hat folgende Vorteile: Gute und tragfähige Kooperationen durch regelmäßige Treffen und gemeinsame Schulungen ermöglichen eine hohe Qualität und eine Standardisierung bei bestimmten Verfahrenswegen, z. B. in der Elternkonsensberatung oder in der Zusammenarbeit mit dem Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD). Zugleich wird eine stabile Versorgung im Ostalb- kreis sichergestellt.

 

Entwicklungen der letzten 10 Jahre

 

Erziehungsberatung im Jahr 2023 sieht anders aus als noch vor 10 Jahren: Während früher häufiger Erziehungsunsicherheiten und eindimensionale Problemlagen wie Trennung und Scheidung genannt wurden, melden sich seit mindestens 2 Jahren Klienten mit komplexeren

Problemlagen (z. B. Doppelbelastung Homeoffice - Kinderbetreuung, psychische Erkrankung des Kindes oder eines Elternteils und soziale Isolation/Trennung/Scheidung/finanzielle Nöte). Es scheint, dass Kinder und Jugendliche mehr Regulationsschwierigkeiten und Entwicklungsauffälligkeiten haben und daher Problemlagen wie Aggressionen, Mobbing und Ängste durch alle Altersstufen hindurch zunehmen.

 

Verschiedene Studien zeigen die Zunahme an psychischen Belastungen vor allem auf Seite der Kinder und Jugendlichen (COPSY-Studie, 2020-2022; DAK Kinder- und Jugendreport, 2022): Ängste und Zwänge, depressive Verstimmungen, weniger Lebensfreude, psychosomatische Beschwerden wie Einschlafstörungen und Essstörungen haben dramatisch zugenommen.

 

Das berichten nicht nur betroffene Eltern, die mit den Auffälligkeiten ihrer Kinder im Familien- und Erziehungsalltag früher an ihre Grenzen stoßen, sondern auch andere Fachkräfte der sozialen Arbeit wie Erzieherinnen und Erzieher oder Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter, die als Mediatoren ebenfalls das Beratungsangebot nutzen. Mitursächlich scheint auch der gesellschaftliche Wandel hin zu einer schnelllebigen, konsumorientierten und digitalisierten Gesellschaft, der oftmals Überforderungssituationen (durch scheinbar grenzenlose Möglichkeiten) für die Kinder und Jugendlichen bedeutet. In diesem Fall benötigen Eltern und andere Bezugspersonen und Pädagogen Hilfestellungen für eine adäquate Grenzziehung und Komplexitätsreduktion.

 

Andererseits steigt der Beratungsbedarf in den einzelnen Fällen mit zunehmender Komplexität durch folgende Notwendigkeiten: Bereits zu Beginn muss häufiger geprüft werden, ob es sich tatsächlich um einen Fall für die Erziehungsberatungsstelle handelt. Durch Engpässe in den angrenzenden Systemen (z. B. Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie, Schulpsychologische Beratungsstellen) melden sich häufiger Fälle, die große Not haben, aber eher eine therapeutische oder andere Begleitung benötigen. Während der Prozessbegleitung in komplexen Fällen ist es häufig notwendig, mehr Vernetzungen herbeizuführen und Kooperationsgespräche (z. B. mit Therapeuten, Lehrern, Schulsozialarbeitern etc.) zu führen, um den Familien helfen zu können.

 

Letztendlich entsteht bei Familien mit komplexen Problemlagen ein intensiverer Beratungsbedarf, bis die Fälle wieder abgeschlossen werden können.

 

Auch eine Veränderung der Gesetzeslage führt zu neuen Herausforderungen für die Erziehungsberatungsstellen. Das neue Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) räumt Kindern und Jugendlichen einen eigenen Beratungsanspruch ein 8 Abs. 3 SGB VIII) und das zeigt sich in den Fallzahlen. Nach den Corona-Lockdown-Phasen verzeichneten alle vier Beratungsstellen einen sprunghaften Anstieg von jugendlichen Selbstmeldern. Seit 2020 bewegt sich der Anteil der Jugendlichen um die 25 % aller Beratungsanfragen (im Vergleich zu ca.   16 % im Jahr 2013). Mitursächlich hierfür sind – wie häufig schon bei der Anmeldung zu erkennen – die Folgen der Pandemie: Diagnosen wie Schulabsentismus, Schul- und Leistungsängste, Angst und Zwangsstörungen, Essstörungen oder stark erhöhter Medienkonsum. Mit der Rückkehr zum Präsenzunterricht wurde dieser Anstieg der Anfragen von Hilfesuchenden exponentiell, denn während des Homeschoolings gab es weniger soziale Ängste und Leistungsängste und auch weniger Anfragen wegen schulbezogener Störungen wie ADHS oder Schulvermeidung.

 

Eine weitere Veränderung ist die Erhöhung der Anforderungen beim Thema „Kinderschutz“. Diese ist gerechtfertigt und wird von den Beratungsstellen begrüßt, führt aber zu Verunsicherungen bei Institutionen wie Schule, Kindergärten und Vereinen sowie zu Mehrbedarfen bei der Umsetzung festgelegter Standards (z. B. Anfragen zu Inhouse-Schulungen zum sexualpädagogischen Schutzkonzept in Kitas).

 

Insgesamt nahmen die Anfragen bei allen vier Beratungsstellen vor allem seit 2022 stetig zu. Die Wartezeit vom Erstkontakt bis zum Eintritt in eine qualifizierte Beratung erhöhte sich eklatant:
 

Ökumenische Psychologische     6 - 8 Wochen
Beratungsstelle Aalen:      (verglichen mit
         durchschnittlich
         4,5 Wochen vor 2021)

 

Erziehungs- und Familienberatungsstelle    4 - 6 Wochen   

beim Landratsamt Ostalbkreis Aalen:    (früher keine Wartezeit
        bzw. bis 2 Wochen)

 

Erziehungs- und Familienberatung in den    12-16 Wochen

Canisius-Beratungsstellen in Schwäbisch Gmünd:    (früher 6,5 Wochen)

 

Psychologische Beratungsstelle für     16 - 22 Wochen für Eltern Kinder, Jugendliche und                                                                                    (früher 8 - 12 Wochen)

Familien in Ellwangen:

 

Erziehungsberatung setzt immer dort an, wo Eltern an ihre Grenzen stoßen. Es scheint, dass die multiplen Belastungen dazu führen, dass sich mehr Familien Hilfe bei der Erziehungsarbeit holen oder sie auch besser aufgeklärt sind, dass sie gem. § 28 SGB VIII einen Rechtsanspruch auf Erziehungsberatung haben.

 

Außerdem soll Erziehungsberatung laut Gesetzgebung „frühzeitig und niederschwellig“ erfolgen, d. h. ohne komplizierte Antragstellung und Gewährung sowie ohne große finanzielle Belastung für Familien. Daher wird Folgendes empfohlen: Eine gute Erreichbarkeit in der Fläche, Wahlfreiheit für die Familien über eine Trägervielfalt von Beratungsstellen und multiprofessionelle Beratungsteams, um den unterschiedlichen Problemlagen gerecht zu werden. Weitere Voraussetzungen für eine gelingende Beratung sind das Schweigepflichtgebot und die Freiwilligkeit der Inanspruchnahme.

 

Da aus oben genannten Gründen die Anfragesituation stetig zunimmt, seit 20 Jahren keine Stellenaufstockung mehr erfolgt ist und schon jetzt keine niederschwellige und frühzeitige Hilfe mehr möglich ist (vgl. lange Wartezeiten), ist es unerlässlich, das Stellenkontingent für die Erziehungs- und Familienberatung im Ostalbkreis auszubauen, damit Eltern in Zukunft wieder zeitnah qualifiziert unterstützt werden und eigenmotiviert an innerfamiliären Lösungen arbeiten und damit in der Verantwortung für ihre Kinder bleiben können. 

 

 

 

 

Antrag auf Stellenaufstockung

 

Die Beratungsstellen in freier Trägerschaft haben eine Aufstockung der Personalstellen beantragt.

 

In gemeinsamen Vorgesprächen mit der Verwaltung wurde festgestellt, dass am dringendsten die Marienpflege Ellwangen mit einer Vollzeit-Personalstelle und die Canisius Beratungsstellen mit einer 50%-Personalstelle aufgestockt werden muss. Auf der Grundlage der aktuell gültigen Verträge mit den Beratungsstellen, die zum 01.01.2013 in Kraft getreten sind, belaufen sich die Kosten des Ostalbkreises für die zusätzlichen 1,5 Stellen auf ca. 150.000 € pro Jahr. In dieser Kostenpauschale sind zusätzlich zu den Personalkosten auch andere Bestandteile wie z. B. Gemein-, Sach-, Verwaltungs- und Raumkosten berücksichtigt.

 

Falls in den Beratungsstellen Ellwangen und Schwäbisch Gmünd eine kurzfristige Stellenerweiterung nicht möglich sein sollte, kann die Ökumenische Beratungsstelle in Aalen interimsweise eine Stellenaufstockung durch eine bereits vorhandene Fachkraft vornehmen. Dies wurde mit den Beratungsstellen so vereinbart und würde interimsweise auch zu einer Entlastung der Beratungsstellen Ellwangen und Schwäbisch Gmünd führen.

 


Finanzierung und Folgekosten

 

Die Kosten für die Stellenaufstockung bei der Marienpflege Ellwangen mit einer Vollzeit-Personalstelle und bei den Canisius-Beratungsstellen mit einer 50%-Personalstelle betragen ca. 150.000 €.

 


Anlagen

 

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Sichtvermerke

 

gez. Funk, Geschäftsbereichsleitung

gez. Urtel, Dezernat V

gez. Kurz, Dezernat II

gez. Dr. Bläse, Landra