Bürgerinformationssystem

Vorlage - 105/2023  

 
 
Betreff: Beitritt des Ostalbkreises zur Initiative "Lebenswerte Städte und Gemeinden"
Status:öffentlich  
Federführend:Geschäftsbereich Straßenverkehr   
Beratungsfolge:
Ausschuss für Umweltschutz und Kreisentwicklung Entscheidung
13.06.2023 
Sitzung des Ausschusses für Umweltschutz und Kreisentwicklung ungeändert beschlossen   
Anlagen:
Anlage 1 - Handreichung Auswahl bereits angeordneter Geschwindigkeit

Antrag der Verwaltung

 

Der Ausschuss für Umweltschutz und Kreisentwicklung nimmt vom Bericht der Verwaltung Kenntnis und stimmt dem Vorschlag der Verwaltung zu, der Initiative nicht beizutreten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Sachverhalt/Begründung

 

Seitens der Kreistagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen wurde mit Schreiben vom 16. April 2023 beantragt, den Tagesordnungspunkt Beitritt des Ostalbkreises zur Initiative "Lebenswerte Städte und Gemeinden" auf die Tagesordnung des Kreistages zu nehmen und zu beraten.

 

Die Planungshoheit in der räumlichen Planung liegt nach Baugesetzbuch bei den Kommunen. Diese können die räumliche Entwicklung in ihren Gemarkungsgrenzen steuern.

 

Im Bereich des Straßenverkehrs haben die Kommunen deutlich weniger Spielraum. Mehrere Bundesgesetze schränken diesen Handlungsspielraum ein. Derzeit legt der § 45 der Straßenverkehrsordnung - ein Bundesgesetz - fest, dass Tempo 30 nur bei konkreten Gefährdungen bzw. vor sozialen Einrichtungen wie beispielsweise Kitas und Schulen angeordnet werden kann. An anderen Stellen darf die Kommune, auch wenn sie es für richtig und wichtig erachtet, kein Tempo 30 anordnen.

 

Mit Stand vom 24. Mai 2023 haben sich bundesweit bereits 742 Städte, Gemeinden und Landkreise dieser Initiative angeschlossen.

 

Mitgliedskommunen aus dem Ostalbkreis sind bis zum jetzigen Zeitpunkt Aalen, Schwäbisch Gmünd, Westhausen und Lauchheim. Bisher beigetretene Landkreise sind Stendal (Sachsen-Anhalt), Gotha (Thüringen), Osterholz (Niedersachsen), Hochtaunuskreis (Hessen) und die Region Hannover (Niedersachsen).

 

 

Die Initiative haben die folgenden Personen im Juli 2021 ins Leben gerufen:

 

  • Prof. Dr. Martin Haag, Stadt Freiburg im Breisgau, Bürgermeister
  • Thomas Dienberg, Stadt Leipzig, Bürgermeister und Beigeordneter
  • Frauke Burgdorff, Stadt Aachen, Stadtbaurätin und Beigeordnete
  • Gerd Merkle, Stadt Augsburg, Baureferent
  • Thomas Vielhaber, Landeshauptstadt Hannover, Stadtbaurat
  • Robin Denstorff, Stadt Münster, Stadtbaurat und Beigeordneter
  • Tim von Winning, Stadt Ulm, Bürgermeister

 

Details zur Initiative können hier nachgelesen werden: https://www.lebenswerte-staedte.de

Die Initiative fordert den Bund auf, die rechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Kommunen Tempo 30 als Höchstgeschwindigkeit innerorts anordnen können, wo sie es für

notwendig halten.

 

Es werden folgende Forderungen formuliert:

 

  1. Wir bekennen uns zur Notwendigkeit der Mobilitäts- und Verkehrswende mit dem Ziel, die Lebensqualität in unseren Städten zu erhöhen.

 

  1. Wir sehen Tempo 30 für den Kraftfahrzeugverkehr auch auf Hauptverkehrsstraßen als integrierten Bestandteil eines nachhaltigen gesamtstädtischen Mobilitätskonzepts und einer Strategie zur Aufwertung der öffentlichen Räume.

 

  1. Wir fordern den Bund auf, umgehend die rechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Kommunen im Sinne der Resolution des Deutschen Bundestags vom 17.01.2020 ohne weitere Einschränkungen Tempo 30 als Höchstgeschwindigkeit innerorts dort anordnen können, wo sie es für notwendig halten.

 

  1. Wir begrüßen ein vom Bund gefördertes begleitendes Modellvorhaben, das wichtige Einzelaspekte im Zusammenhang mit dieser Neuregelung vertieft untersuchen soll (u. a. zu den Auswirkungen auf den ÖPNV, zur Radverkehrssicherheit und zu den Auswirkungen auf das nachgeordnete Netz), um ggf. bei den Regelungen bzw. deren Anwendung nachsteuern zu können.

 

Nach Ansicht der antragstellenden Fraktion würde der Ostalbkreis mit seinem Beitritt zur Initiative die Bemühungen zu einer Verkehrs- und Mobilitätswende bekräftigen. Dadurch würden die kreisangehörigen Kommunen in ihrer Eigenständigkeit bei der Anordnung von Tempolimits unterstützt und würden bei entsprechender Gesetzesänderung durch den Bund mehr Planungs- und Steuerungshoheit in der Straßenverkehrsgestaltung gewinnen. So könnte auf örtliche Gegebenheiten besser reagiert werden.

 

Durch den Beitritt zur Initiative würde der Ostalbkreis keinerlei Verpflichtung eingehen. Vielmehr gelte der bisherige Rechtsrahmen unverändert weiter. Finanzielle Auswirkungen würden auch keine entstehen, da der Beitritt zur Initiative kostenfrei ist.

 

 

Ergebnisse der Abfrage zur Initiative des Städtetags vom 23. März 2022 im Ostalbkreis

 

Anlässlich der Bürgermeisterdienstbesprechung am 11. April 2022 hat der Geschäftsbereich Straßenverkehr eine Abfrage zur Initiative des Städtetags zum Thema „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten - eine neue kommunale Initiative für stadtverträglicheren Verkehr“ am 23. März 2022 durchgeführt.

 

Bei der Abfrage konnte folgende Rückmeldungen gesammelt werden:

 

19

Städte und Gemeinden befürworten die Initiative

8

Städte und Gemeinden lehnen die Initiative grundsätzlich ab

7

Städte und Gemeinden beraten im Stadt-/Gemeinderat bzw. stehen der Initiative offen gegenüber

8

Städte und Gemeinden gaben keine Rückmeldung

 

Die Abfrageergebnisse zeigen ein verhaltenes Stimmungsbild gegenüber der Initiative, obwohl ein Großteil der Städte und Gemeinde die Initiative befürwortet oder offen dem gegenübersteht.

 

Eine aktuellere Umfrage bei den Städten und Gemeinden des Ostalbkreis zum Beitritt der Initiative ist nicht vorhanden.

 

Aktuelle Rechtslage

 

Aus Sicht der Unteren Straßenverkehrsbehörde ist es zur Bewertung des Antrags wichtig, die aktueller Rechtslage im Sinne der Straßenverkehrsordnung und die damit verbundenen Möglichkeiten zur Anordnung einer Begrenzung der innerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h zu erläutern.

 

Zunächst wird der Unterschied zwischen einer Tempo 30-Zone und einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h erläutert.

 

Tempo 30-Zonen können nach § 45 Absatz 1 c Straßenverkehrsordnung (StVO) grundsätzlich nur innerhalb geschlossener Ortschaften angeordnet werden und dürfen sich weder auf Straßen des überörtlichen Verkehrs noch auf weitere Vorfahrtsstraßen erstrecken. Für die Einordnung als Straße des überörtlichen Verkehrs im Sinne von § 45 Absatz 1c 1 StVO ist die Klassifizierung als Bundes-, Landes- oder Kreisstraße maßgeblich. Demzufolge kann auch innerorts auf klassifizierte Straßen keine Tempo 30-Zone angeordnet werden.

 

Eine weitere Möglichkeit, um die nach § 3 Absatz 2 StVO zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h innerhalb geschlossener Ortschaften dauerhaft auf eine niedrigere Geschwindigkeit zu beschränken, ergibt sich aus den Ausnahmen nach § 45 StVO. Demnach ist zum einen eine Geschwindigkeitsbeschränkung aus Verkehrssicherheitsgründen und zum anderen aus Lärmschutzgründen möglich.

 

Eine Geschwindigkeitsbeschränkung aus Verkehrssicherheitsgründen darf nur angeordnet werden, wenn aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung erheblich übersteigt. Eine Geschwindigkeitsbegrenzung aus Verkehrssicherheitsgründen ist stets eine Einzelfallentscheidung.

 

Bei einer Geschwindigkeitsbeschränkung aus Lärmschutzgründen müssen die Tatbestands-voraussetzungen des § 45 Abs. 1 und Abs. 9 StVO gegeben sein, insbesondere muss eine Gefahrenlage bestehen. Eine Gefahrenlage liegt vor, wenn die Grenzwerte der Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV) überschritten sind. Geschwindigkeitsbeschränkende Maßnahmen sind dann nach Ermessensausübung möglich.

 

Zusätzlich kann gemäß § 45 Absatz 9 Satz 4 Nr. 6 StVO eine innerörtliche streckenbezogene Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h auf Straßen des überörtlichen Verkehrs (Bundes-, Landes-, und Kreisstraßen) oder auf weiteren Vorfahrtsstraßen im unmittelbaren Bereich von an diesen Straßen gelegenen Kindergärten, Kindertagesstätten, allgemeinbildenden Schulen, Förderschulen, Alten- und Pflegeheimen oder Krankenhäusern angeordnet werden. Insgesamt wurden so in den letzten 6 Jahren 14 Anordnungen für Tempo 30 im Zuge von Ortsdurchfahrten im Ostalbkreis angeordnet (siehe Anlage).

 

 

Einschätzung der Unteren Straßenverkehrsbehörde

 

Der Geschäftsbereich Straßenverkehr als Untere Straßenverkehrsbehörde für die 39 Städte und Gemeinden im Ostalbkreis (Aalen, Schwäbisch Gmünd und Ellwangen sind eigenständige Straßenverkehrsbehörden) steht der Initiative „Lebenswerte Städte und Gemeinden“ offen gegenüber.

 

Zeitgleich wird festgestellt, dass der Geschäftsbereich Straßenverkehr den zur Verfügung stehenden Ermessensspielraum in enger Abstimmung mit dem Polizeipräsidium Aalen, den Straßenmeistereien des Ostalbkreis, dem Geschäftsbereich Verkehrsinfrastruktur und der jeweiligen Gemeinde im Rahmen der verkehrsrechtlichen Prüfung und Ergebnisfindung im jeweils zulässigen Rechtsrahmen vollumfänglich ausschöpft.

 

Die Straßenverkehrsordnung (StVO) als Bundesrecht nimmt grundsätzlich eine ordnungsrechtliche Funktion wahr, nämlich den öffentlichen Verkehr zu regeln und zu lenken. Das oberste Ziel ist dabei die Verkehrssicherheit. Dem untergeordnet steht die Gewährleistung der gegenseitigen Rücksichtnahme aller Verkehrsteilnehmer und die Garantie eines möglichst ungestörten Verkehrsflusses.

 

Die Aufenthaltsqualität in innerstädtischen Bereichen zu erhöhen ist nicht Aufgabe und Ziel der StVO. Eine Verbesserung der Aufenthaltsqualität sollte vielmehr durch alternative Maßnahmen auf Ebene der Gemeinde und Städte selbst geklärt werden. Eine bedarfsorientierte Anordnungskompetenz für die Kommunen dürfte zu einem „Wildwuchs“ an unterschiedlichen Geschwindigkeitsbeschränkungen führen, sodass die eigentlichen o.g. Zwecke der StVO nicht mehr gegeben sein dürften.

 

Trotz der Offenheit gegenüber der Initiative sehen wir hier keine zielführende Entscheidung, dass der Landkreis dieser Initiative beitritt. Deshalb wird vorgeschlagen, der vorliegenden Initiative als Landkreis nicht beizutreten, zumal die Initiative im Wesentlichen auf Ebene der Städte und Gemeinden stattfindet.

 

Eine flächendeckende Änderung der StVO hinsichtlich einer Herabsetzung der innerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h wäre hingegen in der theoretischen und praktischen Handhabung bzw. Umsetzung wesentlich zielführender. So könnte der wachsende Schilderwald in Deutschland – mit zahlreichen unterschiedlichen Handhabungen und Auslegungen der Vorgaben der StVO von den unterschiedlichen Örtlichen und Unteren Straßenverkehrsbehörden im Land - wirksam vorgebeugt und entgegengewirkt werden. Außerdem würde es eine einheitliche und verständliche Regelung für die Verkehrsteilnehmer darstellen, die zur Verkehrssicherheit beitragen kann.

 

 


Finanzierung und Folgekosten

 

Der Beitritt zur Initiative ist kostenfrei.

 


Anlagen

 

Handreichung Auswahl bereits angeordneter Geschwindigkeit

 

 

 

 

Sichtvermerke

 

gez. Forstenhäusler, Geschäftsbereich Straßenverkehr

gez. Wagenblast, Dezernat VII

gez. Kurz, Dezernat II

gez. Dr. Bläse, Landrat

 

Anlagen:  
  Nr. Name    
Anlage 1 1 Anlage 1 - Handreichung Auswahl bereits angeordneter Geschwindigkeit (366 KB)