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Vorlage - 100/2022  

 
 
Betreff: Geflüchtete aus der Ukraine - Systemwechsel ins SGB II und Auswirkungen auf die Finanzdaten sowie den Personalbedarf des Jobcenters

Status:öffentlich  
Federführend:Jobcenter Ostalbkreis Beteiligt:D e z e r n a t V
Beratungsfolge:
Ausschuss für Arbeit und Grundsicherung Kenntnisnahme
21.06.2022 
Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Grundsicherung zur Kenntnis genommen   

Antrag der Verwaltung

 

Kenntnisnahme.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Sachverhalt/Begründung

 

Ausgangssituation und Allgemeines

 

Durch den Krieg in der Ukraine verließen in den vergangenen Wochen mehrere Millionen Menschen das Land und flüchteten nach Westeuropa, viele darunter nach Deutschland. So kamen auch bislang rund 2.800 Geflüchtete in den Ostalbkreis und wurden hier in Unterkünften und privaten Wohnungen untergebracht.

 

In der Besprechung des Bundeskanzlers mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 07. April 2022 wurde beschlossen, den Geflüchteten den Zugang zur Grundsicherung zu ermöglichen und ihnen somit Leistungen nach dem Zweiten bzw. Zwölften Buch Sozialgesetzbuch zu gewähren. Diese Regelung tritt ab dem 01. Juni 2022 in Kraft.

 

 

Auswirkungen auf das Jobcenter Ostalbkreis

 

Bereich Leistung

 

Nach Bekanntwerden des Beschlusses der Ministerpräsidentenkonferenz Anfang April hat sich das Jobcenter Ostalbkreis entsprechend aufgestellt, um einen möglichst geregelten Übergang der Leistungsempfänger, die bereits Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten, in den Rechtskreis SGB II zu gewährleisten. Oberste Prämisse hierbei war, dass alle hilfebedürftigen ukrainischen Flüchtlinge nahtlos die entsprechenden Geldleistungen weiter erhalten.

 

Das Jobcenter hat hierzu ein standortübergreifendes Sonderleistungsteam gegründet, welches aus zwei Teamleitern und insgesamt 22 Leistungsberatern und Sachbearbeitern besteht. Da der Geschäftsbereich Integration und Versorgung mit einem anderen Fachverfahren als das Jobcenter arbeitet, war eine automatische Datenmigration nicht möglich. Alle Leistungsfälle mussten händisch übertragen werden.

Am 24.04.2022 wurde vom Geschäftsbereich Integration und Versorgung ein Datensatz mit insgesamt 2129 Personen in 1044 Leistungsfällen an das Jobcenter übergeben.

 

Da die Leistungen im SGB II am Monatsanfang ausbezahlt werden, stand dem Sonderleistungsteam nunmehr ein Zeitraum von 4 Wochen bis zum Zahllauf am 25.05.2022 zur Verfügung, um diese Datensätze zu sichten, im Fachverfahren anzulegen und zu bewilligen. Zudem kamen während dieser Zeit nochmals rund 300 Neuanträge dazu, die parallel noch im Bereich Integration und Versorgung nach dem 24.04.2022 eingegeben und bewilligt wurden und ebenfalls ab dem 01.06.2022 ins SGB II übergehen.

 

Es wurden innerhalb kurzer Zeit 1.033 Bewilligungsbescheide für Leistungen nach dem SGB II durch das Jobcenter erlassen. Sofern die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, werden die noch verbliebenen Leistungsfälle im Laufe des Juni 2022 aus dem Bereich Integration und Versorgung übernommen.

 

Vor Erfassung der Daten im Fachverfahren des Jobcenters musste zunächst die Bedarfsgemeinschaftszusammensetzung neu überprüft werden, ebenso wurden auch einige Fälle an den Geschäftsbereich Soziales übergeben, da erwerbsunfähige Flüchtlinge Anspruch auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch XII haben. Viele weitere Themen wie die Kosten der Unterkunft, Krankenkasse und Kontoeröffnung mussten ebenfalls erfragt und eingearbeitet werden.

Fast in jedem Fall musste eine Kontaktaufnahme mit der zuständigen Ausländerbehörde erfolgen, damit auch der Status des Aufenthaltes geklärt war.

 

Für alle Fragen von ukrainischen Flüchtlingen, Ehrenamtlichen, Dolmetschern, Vermietern, Mitarbeitern bei den Städten und Gemeinden etc. wurde eine eigene Hotline (07361/980-5300) und ein eigenes Postfach (jobcenter-ukraine@ostalbkreis.de) eingerichtet, welches ebenfalls über das Sonderleistungsteam täglich betreut wird.

 

Da die meisten Flüchtlinge zum Zeitpunkt des Übergangs noch nicht über ein eigenes Konto verfügten, wurde der größte Teil der Leistungen in Form eines Barschecks ausgegeben. Dies erfolgte in enger Zusammenarbeit mit den Städten und Gemeinden des Ost- albkreises, lediglich die Stadtgebiete Aalen und Schwäbisch Gmünd wurden in den jeweiligen Jobcentern ausgegeben. So konnten alle ukrainischen Flüchtlinge nach wie vor wohnortnah und unkompliziert an ihre Geldleistungen kommen.

 

 

Bereich Markt & Integration

 

Neben der Versorgung der Menschen mit Geldleistungen sollen die Geflüchteten baldmöglichst Zugang zum Arbeitsmarkt finden. Obwohl die Menschen überwiegend sehr gut ausgebildet sind, sprechen laut einer Studie des Bundesministeriums des Innern und für Heimat nur 4% dieser Menschen Deutsch und 10% Englisch. Der Spracherwerb wird deshalb die größte Herausforderung auf dem Weg in den deutschen Arbeitsmarkt sein. Eine weitere Hürde stellt die Anerkennung der in der Ukraine erworbenen Schul- und Berufsabschlüsse dar. Der Bund hat hier bereits Initiativen zur Vereinfachung der Anerkennungspraxis angekündigt. Etwa die Hälfte der Geflüchteten sind Frauen mit Kindern. Hier gilt es, die Kinderbetreuung und den Schulbesuch vorrangig zu klären.

 

Organisation

 

Das Jobcenter hat an allen Standorten spezialisierte Integrationsberater für die Beratung und Vermittlung der Geflüchteten eingesetzt. Die Beratungen haben an allen Standorten begonnen und bis Ende Mai wurden bereits rund 400 Beratungsgespräche geführt. Ziel ist es, bis Mitte Juli 2022 die Bedarfe der erwerbsfähigen Leistungsberechtigen zu kennen und zielgerichtete Angebote zu schaffen.

 

Maßnahmen zur Integration in den Arbeitsmarkt

 

Die ersten Integrationsmaßnahmen hat das Jobcenter bereits ausgeschrieben. Dabei handelt es sich um niedrigschwellige Angebote mit Sprachanteilen. Diese dienen in erster Linie dazu, die Zeit bis zur Teilnahme an einem Integrationskurs des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sinnvoll zu überbrücken sowie die ersten Schritte in Richtung Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Diese Maßnahmen können je nach Bedarf auch kurzfristig aufgestockt werden. Die Maßnahmekosten werden zu 100% über Bundesmittel gedeckt. Der Bund hat im Rahmen des Nachtragshaushalts zusätzliche Mittel angekündigt.

 

Sprachförderung

 

Die Sprachförderung erfolgt bei anerkannten Trägern und wird über das BAMF finanziert. Das Jobcenter ist gemeinsam mit dem Geschäftsbereich Integration und Versorgung im regelmäßigen Austausch mit den Akteuren. Die Finanzierungszusagen für die sog. Erstorientierungskurse (EOK) liegen inzwischen vor und die Angebote bei den Trägern werden ausgebaut. Der Mangel an Lehrkräften und Räumlichkeiten zur Durchführung der Kurse wird jedoch nicht zeitnah für diesen hohen Bedarf zu beheben sein. Deshalb ist es sehr erfreulich, dass einige niedrigschwellige Kurse, die durch den Landkreis, Städte und Gemeinden finanziert werden, bereits stattfinden können. Als weiterer Baustein sollen in Kürze Online-Kurse beginnen.

 

 

Netzwerke

 

Das Jobcenter ist gemeinsam mit dem Geschäftsbereich Integration und Versorgung in allen wichtigen Netzwerken für die Geflüchteten aus der Ukraine aktiv. Neben den Städten und Gemeinden sind dies beispielsweise Träger der freien Wohlfahrtspflege, diverse ehrenamtliche Initiativen, Sprachkursträger und Träger von Maßnahmen zur Arbeitsmarktintegration, Kammern und Arbeitgeberverbände, Anerkennungsstellen, Banken sowie Krankenkassen.

 

 

Fazit und Ausblick

 

Die durch das Sonderleistungsteam eingearbeiteten Leistungsfälle werden in den kommenden Wochen nach und nach an die originären Leistungsteams übergeben. Hier müssen dann mit den ersten Weiterbewilligungsanträgen noch viele Details in den Leistungsfällen geklärt und nachgearbeitet werden.

Es herrscht jedoch nach wie vor eine große Wellenbewegung bei der Unterkunftsnahme der ukrainischen Flüchtlinge, was natürlich einen enorm großen Aufwand im Leistungsbereich verursacht. Hier versuchen wir durch gute Netzwerkarbeit schnell an entsprechende Informationen zu kommen um die Leistungsfälle zeitnah bearbeiten zu können und größere Nacharbeiten so gut es geht zu vermeiden.             

 

In den nächsten Monaten wird sich ein geregelter Ablauf der Arbeitsmarktintegration noch einspielen müssen. Parallel zum Ausbau der Integrationskurse werden diverse und kreative Angebote notwendig sein.

 


Finanzierung und Folgekosten

 

Ausgehend von der Anzahl der bislang in den Ostalbkreis gekommenen Geflüchteten rechnet das Jobcenter mit durchschnittlich 1.400 zusätzlichen Bedarfsgemeinschaften für den Zeitraum Juni bis Dezember 2022. Die daraus resultierenden Mehrkosten im Bereich der laufenden Kosten der Unterkunft betragen voraussichtlich rund 4.090.000 €. Hinzu kommen zusätzliche Ausgaben für die Erstausstattung Wohnung und Bekleidung von geschätzten 700.000 € sowie 230.000 € für Bildung und Teilhabeleistungen und 150.000 € für Kinderbetreuungskosten. Insgesamt wird daher mit kommunalen Mehrausgaben in Höhe von 5.170.000 € gerechnet.

 

Die Einnahmen aus der Bundesbeteiligung an den zusätzlichen Kosten für Unterkunft belaufen sich nach derzeitiger Gesetzeslage auf 2.920.000 €. Somit ergibt sich ein kommunaler Nettoaufwand in Höhe von 2.250.000 €.

 

Für die flüchtlingsbedingten Mehrkosten der Länder und Kommunen stellt der Bund pauschal für das Jahr 2022 einen Betrag von zwei Milliarden Euro über eine Erhöhung des Umsatzsteueranteils der Länder zur Verfügung. Darunter sind 500 Mio. € zur Unterstützung der Kommunen bei den Kosten der Unterkunft eingeplant. Ob dabei die Quote der Bundesbeteiligung KdU erhöht wird, ist noch nicht klar.  Zur dauerhaften Beteiligung des Bundes soll noch in diesem Jahr eine Verständigung mit den Ländern erzielt werden.

 

Damit jedoch auch die Entlastungsmittel des Bundes von den Ländern an die Kommunen entsprechend weitergegeben werden, drängen die Kommunalen Landesverbände auf eine zeitnahe und verbindliche Klärung der Frage der Flüchtlingskostenerstattung. Angestrebt wird hierbei von kommunaler Seite eine vollständige Kompensation, sodass der kommunale Nettoaufwand, der aufgrund des Rechtskreiswechsels entsteht, in voller Höhe übernommen wird.

 

Zusätzlich zu den kommunalen Leistungen erhöhen sich auch weitere Ausgaben im Rahmen des SGB II. Im Bereich des Arbeitslosengeldes II wird mit einem Mehraufwand in Höhe von rund 6.370.000 € gerechnet. Diese Ausgaben werden zu 100 % vom Bund getragen.

 

Für das Eingliederungsbudget wurde seitens des Bundesministers Hubertus Heil angekündigt, dass im Ergänzungshaushalt 2022 die notwendigen Mittel für entsprechende zusätzliche Maßnahmen zur Verfügung gestellt werden. Auch für die Verwaltungskosten ist mit einer Erhöhung des Mittelansatzes zu rechnen. Zur Höhe und Verteilung der Mittel können jedoch vor Abschluss des parlamentarischen Verfahrens zum Bundeshaushalt keine Angaben gemacht werden.

 

Personalbedarf im Jobcenter

 

Neben den finanziellen Konsequenzen bei den Transferleistungen durch die deutlich erhöhte Anzahl der Leistungsempfänger, wirkt sich die Steigerung der Fallzahlen auch auf den Personalbedarf des Jobcenters aus.

 

Für die Berechnung des zusätzlichen Stellenbedarfs wird wiederum von einem zusätzlichen Fallaufkommen von durchschnittlich 1.400 Bedarfsgemeinschaften ausgegangen. Da sich diese Bedarfsgemeinschaften überwiegend aus Frauen und Kindern zusammensetzen, kann davon ausgegangen werden, dass sich in jeder BG durchschnittlich 1,2 erwerbsfähige Leistungsberechtigte (ELB) befinden. Es wird daher mit 1.680 zusätzlichen ELBs gerechnet.

 

Bei einem Personalschlüssel in der Leistungsabteilung von 1 zu 100 Bedarfsgemeinschaften werden rechnerisch 14 Stellen für das zusätzliche Fallaufkommen benötigt. Bei einem Personalschlüssel im Bereich Markt & Integration von 1 zu 150 erwerbsfähige Leistungsberechtigte sind dies 11,2 Stellen.

 

Aufgrund einer derzeit geringeren Anzahl von originären Bedarfsgemeinschaften ist der Stellenplan des Jobcenters nicht ausgereizt worden. In der Leistungsabteilung sind zur Mitte des Jahres insgesamt 2,5 Stellen frei. Der rechnerische Bedarf an zusätzlichen Stellen beträgt somit 11,5 Stellen. Geplant wird jedoch nur mit 11 zusätzlichen Stellen.

 

Im Bereich Markt & Integration sind zur Mitte des Jahres insgesamt 4,0 Stellen frei. Der rechnerische Bedarf an zusätzlichen Stellen beträgt somit 7,2 Stellen. Geplant wird mit 7 zusätzlichen Stellen.

 

Finanzierung des erhöhten Stellenbedarfs

 

Durch die insgesamt 18 zusätzlichen Stellen fallen höhere Personalkosten in Höhe von derzeit jährlich rund 1.198.000 € an. Diese werden über das Verwaltungsbudget des Jobcenters finanziert, das zu 84,8 % durch den Bund und zu 15,2 % durch den Landkreis finanziert wird. Es kann davon ausgegangen werden, dass der Bund die entsprechenden zusätzlichen Mittel über das Verwaltungsbudget bereitstellt. Für den Ostalbkreis bleiben jährliche Kosten in Höhe von derzeit rund 182.000 € über den kommunalen Finanzierungsanteil zu tragen.

 

Für das Jahr 2022 ist davon auszugehen, dass die Aufstockung des Personals lediglich schrittweise erfolgen kann. Der Kostenanteil des Ostalbkreises wird mit rund 68.000 € im laufenden Jahr veranschlagt.

 

Da der weitere Zu- und Abgang von Geflüchteten aus der Ukraine ins SGB II nicht genau vorhergesagt werden kann, kann sich der Personalbedarf in den kommenden Monaten sowohl nach oben als auch nach unten verändern. Ob die zusätzlichen Stellen tatsächlich besetzt werden können, ist zudem äußerst fraglich. Über den aktuellen Stand wird der Ausschuss für Arbeit und Grundsicherung in den kommenden Sitzungen jeweils informiert werden.

 

Eine aktualisierte Prognose für den Haushaltsplan 2023 sowie für den Stellenplan im Jahr 2023 wird in der Dezember-Sitzung auf Grundlage der dann vorliegenden Zahlen präsentiert.

 

 

 

 

 


Anlagen

 

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Sichtvermerke

 

gez. Koch, Geschäftsführer

gez. Urtel, Sozialdezernentin

gez. Kurz, Dezernat II

gez. Seefried, Erste Landesbeamtin i. V. Landrat Dr. Bläse