Bürgerinformationssystem

Vorlage - 090/2022  

 
 
Betreff: Aktuelle Entwicklungen im ÖPNV
Status:öffentlich  
Federführend:Geschäftsbereich Nachhaltige Mobilität   
Beratungsfolge:
Ausschuss für Umweltschutz und Kreisentwicklung Kenntnisnahme
24.05.2022 
Sitzung des Ausschusses für Umweltschutz und Kreisentwicklung zur Kenntnis genommen   

Antrag der Verwaltung

 

Der Ausschuss für Umweltschutz und Kreisentwicklung nimmt vom Bericht der Verwaltung Kenntnis. Je nach Entwicklung der kommenden Tage würden in der Sitzung Beschlussvorschläge entlang der nachfolgend umrissenen Lösungsansätze formuliert werden.

 

 

 

 

 


Sachverhalt/Begründung

 

Derzeit bestimmen vor allem zwei Debatten die ÖPNV-Branche: Die dreimonatige Einführung des „9 Euro-Tickets“ sowie die Belastungen durch die andauernd hohen Dieselpreise. Beides wirkt sich gleichermaßen auf die wirtschaftliche Situation der Unternehmerschaft aus und verlangt daher eine präventive und möglichenfalls entscheidungsfällende Auseinandersetzung des für die auskömmliche ÖPNV-Finanzierung verantwortlichen Aufgabenträgers, also dem Ostalbkreis.

 

Hinweis: Beide Komplexe sind Gegenstände fortlaufender Entwicklungen. Die aktuelle Darstellung der Sachlage kann daher erst am 24. Mai 2022 in der Sitzung des Ausschusses für Umweltschutz und Kreisentwicklung erfolgen.

 

 

„9 Euro-Ticket“

 

Das in der Öffentlichkeit breit diskutierte „9 Euro-Ticket“ wird in den Monaten Juni, Juli und August zum namensgebenden Preis angeboten. Hiermit können sämtliche Nahverkehrsmittel (ÖPNV und SPNV) in Deutschland genutzt werden. Der Bund stellt hierfür 2,5 Milliarden Euro zur Verfügung.

 

Auswirkung auf Ostalbkreis

 

Genau wie das „365-Euro-Jugendticket“ greift das „9 Euro-Ticket“ massiv in die etablierten Einnahme- und Finanzströme des Ostalb-ÖPNVs ein.

 

So zahlen alle Zeitkarteninhaber („Monatskarten“, „Ostalb-Abos“, „Semestertickets“ etc.) lediglich jeweils 9 Euro in den Monaten Mai, Juni und August anstatt des regulären Monatspreises. Im Gegensatz zu regulären Einzel- und Monatskarten lassen sich solche Pauschalpreisangebote nicht auf konventionelle Weise (Spitzabrechnung) auf die einzelnen Leistungserbringer (Verkehrsunternehmen) aufteilen. Da die Fahrgeldeinnahmen im Ostalbkreis direkt an die Unternehmen fließen, ergibt sich zwangsläufig eine Liquiditätslücke, da die zugesicherte Gegenfinanzierung seitens des Bundes erst verzögert (und sehr verwaltungsintensiv) im Rahmen der ÖPNV-Rettungsschirmabrechnung zusammen mit der Bundesanweisung der Regionalisierungsmittel an die Länder geschieht.

 

Es ist zudem davon auszugehen, dass der Umsatz an Einzelfahrscheinen massiv zusammenbrechen wird, da das „9 Euro-Ticket“ diese Fahrkarten kannibalisiert. In der Folge fehlen, wie bereits skizziert, den Unternehmen diese laufenden Einnahmen in der Kasse.

 

So ist in der Konsequenz grundsätzlich zu gewährleisten, dass die Unternehmen diejenigen Erlöse bzw. Einnahmen bekommen, die ihnen gemäß der geltenden ÖPNV-Finanzierungsordnung („Haustarife“ nach §39 PBefG), etwa im Bereich der Fahrpreisbezuschussung („Durchtarifierung und Harmonisierung“) zustehen. Ebenfalls ist eine zeitnahe Zurverfügungstellung an Liquidität gegenüber der Unternehmerschaft sicherzustellen, etwa durch die Vorwegnahmen des Ausgleichs von Harmonisierungs- und Durchtarifierungsaufwendungen als Abschlagszahlungen durch den Landkreis. Zwar ist seitens des Bundes kommuniziert, dass alsbald Mittel fließen werden, die adäquate Verteilung der Gelder stellt sich aber als nicht banal dar. Insofern ist u. U. eine geeignete Übergangslösung in Betracht zu ziehen, in welcher der Ostalbkreis in Vorleistung geht, selbstverständlich mit der Prämisse, dass ausschließlich diejenigen Gelder an die Unternehmerschaft auszukehren sind, die dem Landkreis auch vom Bund zur Finanzierung des „9 Euro-Tickets“ zur Verfügung gestellt werden.

 

In der Ausschusssitzung wird je nach aktueller Entwicklung ein Vorschlag unterbreitet, wie mit diesem Umstand bestmöglich umzugehen ist.

 

Nach derzeitigen Kalkulationsstand stünden dem Ostalb-ÖPNV (ohne Schiene) ca. 2,9 Mio. Euro Ausgleichszahlungen zu. Da (zunächst) nur 90 % ausgezahlt werden (zur Vermeidung der Überkompensation) bekäme der Ostalbkreis ca. 2,6 Mio. Euro.

 

Als sehr positiv für den Ostalbkreis kann Folgendes angesehen werden: Aufgrund eines Urteils des Bundesverwaltungsgerichtes müssen neben den privaten Personen auch die kommunalen Träger entlastet werden. In dieser Konsequenz ergäben sich Einsparungen in der Schülerbeförderung als Schulwegkostenträger in Höhe von ca. 1,16 Mio. Euro.

 

 

Einschätzung zur Wirkung des „9 Euro-Tickets“

 

Inwiefern das „9 Euro-Ticket“ sich positiv (oder gar negativ) auf die Globalzufriedenheit mit dem ÖPNV auswirkt, ist Bestandteil kontroverser Debatten. Die Branche weist darauf hin, dass die gut gemeinte Attraktivierung des ÖPNV auch nach hinten losgehen könne, etwa, wenn zu viele das Angebot in Anspruch nehmen („Am Sonntag fahren wir mit der ganzen Familie und dem Sportverein mit all unseren Fahrrädern an den Bodensee! Abfahrt Aalen: IRE um 9:07 Uhr“). Es wird für die Verkehrsbetreiber auf Straße oder Schiene nur sehr begrenzt möglich sein präventiv entsprechend größere Kapazitäten vorzuhalten.

 

Da der Ostalbkreis, z. B. im Gegensatz zur Bodenseeregion oder dem Schwarzwald keine exponierten touristischen Verkehre aufweist, sind negative Erscheinungen („Überfüllung“) eher weniger zu erwarten. Das gerne vorgebrachte Argument: „Der ÖPNV ist zu teuer und die Tarife zu kompliziert“ gilt zumindest in den kommenden drei Monaten nicht mehr. Die Erwartung, dass Neukunden gewonnen werden können, welche den ÖPNV im Sommer „erschnuppern“ und im Anschluss dem ÖPNV-System erhalten bleiben, sollte jedoch nicht allzu groß sein. Vermutlich wird es sich in erster Linie um Mitnahmeeffekte handeln. Es werden diejenigen entlastet, die ohnehin schon ÖPNV-Kunden sind.

 

Alle Mobilitätsdaten der vergangenen Monate haben darüber hinaus gezeigt, dass es keine signifikanten Einsparungen im motorisierten Individualverkehr gibt. Ergo: Die derzeitigen Energiepreise führen zu keinen Veränderungen hinsichtlich des konditionierten Mobilitätsverhaltens. Da der Bund im selben Zeitraum des „9 Euro-Tickets“ auch die Energiesteuer (Diesel: 14,04 Cent/l, Benzin: 29,55 Cent/l) absenkt und hohe Verbräuche mit hohen Steuererleichterungen belohnt, kann davon ausgegangen werden, dass keine Verlagerungen im Sinne der Mobilitätswende, geschweige denn die dringend nötigen Emissionsreduzierungen, zu erwarten sind.

 

 

Hohe Dieselpreise

 

Die andauernd hohen Dieselpreise stellen für die Unternehmerschaft eine enorme Belastung dar. Die im Zuge des russischen Angriffes auf die Ukraine sprunghaft gestiegenen Preise waren in den ursprünglichen Kostenkalkulationen nicht enthalten und werden daher derzeit aus der Substanz heraus finanziert. Im Ostalbkreis beläuft sich die Mehrbelastung seit Februar gegenüber dem Vorjahr auf ca. 750.000 bis 900.000 Euro im ÖPNV zzgl. des freigestellten Schülerverkehrs. 

 

Leider sind die Signale aus Berlin und Stuttgart, dass hier Entlastungszahlungen erfolgen, eher wage bis ablehnend. Diese berufen sich auf die bereits bestehenden Stützungsmaßnahmen, etwa den Rettungsschirm oder die befristete Senkung der Energiesteuer. Es ist zweifelhaft, ob dies angesichts der genannten Summen ausreichend ist.

 

Am 11. Mai 2022 stellten die Busunternehmen in etlichen BW-Landkreisen (nicht im Ostalbkreis) von 10 Uhr bis 12 Uhr den Betrieb ein, um auf die missliche Situation aufmerksam zu machen.

 

Klar ist, dass die Unternehmen die Kostensteigerungen entweder (dauerhaft) über einen erhöhten Haustarif an den Landkreis weitergeben oder eine Extralösung – die sich nur auf den Dieselpreis bezieht – gefunden werden muss. An einem fortlaufenden und finanziell sichergestellten Betrieb besteht ein hohes Interesse.

 

Landesweit sind die Aufgabenträger noch sehr zurückhaltend was eigene Initiativen anbelangt. Die VVS-Landkreise etwa erhöhen ihre Vertragszahlungen an die Leistungserbringer entlang des BW-Indexes. Dieser vom Statistischen Landesamt ermittelte Index konstatiert etwa im betreffenden Sektor „Verkehr“ eine Kostenveränderung von April 2021 auf April 2022 um 15,1 %.

 

Eine solche Lösung lässt sich im Ostalbkreis aufgrund der eigenwirtschaftlichen Finanzierungsstruktur nicht umfänglich umsetzen. Es wird daher erwogen einen kreiseigenen „Dieselstützungspakt“ zu entwerfen. Dieser könnte in etwas wie folgt aussehen: Gegen Rechnungsdokumentation erhielten die Unternehmen im Linienbusverkehr rund 50 Cent/Liter erstattet, im Sonderschulverkehr 10 Cent/km. Hierüber ergäben sich Mehrbelastungen für die Kreiskasse in Höhe von ca. 1,1 Mio. Euro für die Monate Februar bis Mai 2022. Die Finanzierung könnte u. U. durch die freiwerdenden Mittel aus der Schülerbeförderung (ca. 1,16 Mio. Euro wegen „9 Euro-Ticket“, s. o.) geleistet werden. Für die Folgemonate müsste, auch angesichts der temporären Energiesteuersenkung, eventuell nachjustiert werden.

 

Bei entsprechender Reife würde dem Ausschuss ein passender Vorschlag, entlang der skizzierten Überlegungen, in der Ausschusssitzung zur Abstimmung vorgelegt werden.

 

Perspektivisch ist von andauernd hohen Dieselpreisen auszugehen, die in der Finanzplanung des ÖPNV-Haushaltes für das kommende Jahr zu berücksichtigen sind.


Finanzierung und Folgekosten

 

Zum Zeitpunkt der Vorlagenerstellung nicht abschließend zu beziffern.

 

 

 

 

 


Anlagen

 

---

 


 

Sichtvermerke

 

gez. Gehlhaus, Geschäftsbereich Nachhaltige Mobilität

gez. Wagenblast, Dezernat VII

gez. Kurz, Dezernat II

gez. Dr. Bläse, Landrat