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Vorlage - 049/2022  

 
 
Betreff: Reform Betreuungsrecht
Status:öffentlich  
Federführend:Geschäftsbereich Soziales   
Beratungsfolge:
Gemeinsame Sitzung des Ausschusses für Soziales und Gesundheit und des Jugendhilfeausschusses
29.03.2022 
Sitzung des Ausschusses für Soziales und Gesundheit und des Jugendhilfeausschusses zur Kenntnis genommen   

Antrag der Verwaltung

 

Kenntnisnahme.

 

 

 

 

 

 


Sachverhalt/Begründung

 

I. Ausgangssituation

 

Zum 01.01.2023 tritt das Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts in Kraft. Die daraus resultierenden Änderungen betreffen alle Akteure des Betreuungsrechts: Betreute, Betreuerinnen und Betreuer, Betreuungsgerichte, Betreuungsvereine und Betreuungsbehörden. Insbesondere die Betreuungsbehörden werden mit neuen Aufgaben vom Gesetzgeber betraut.

 

Gründe für die Reform sind der Auftrag aus der UN-Behindertenrechtskonvention, die Ergebnisse der vom Bundesjustizministerium in Auftrag gegebenen Forschungsvorhaben zur Qualität in der Betreuung und dem Erforderlichkeitsgrundsatz bei Betreuungen und die Aufnahme des Themas im Koalitionsvertrag.

 

In Baden-Württemberg sind die Stadt- und Landkreise örtliche Betreuungsbehörden. Die Betreuungsbehörde des Ostalbkreises hat ihren Dienstsitz in Schwäbisch Gmünd und nimmt von dort aus mit sieben Mitarbeiterinnen im Stellenumfang von 6,0 Stellen ihre Aufgaben für das gesamte Kreisgebiet wahr. Die örtliche Betreuungsbehörde erfüllt gesetzliche Aufgaben im Rahmen der rechtlichen Vertretung von Erwachsenen, der Vollmacht und rechtlichen Betreuung.

 

Im Ostalbkreis sind bei den vier Amtsgerichten insgesamt 3.636 rechtliche Betreuungen eingerichtet. Davon werden 1.854 Betreuungen ehrenamtlich geführt und 1.782 durch Berufsbetreuerinnen und Betreuer. Jährlich kommen rund 500 neue Betreuungen hinzu, die gut zur Hälfte ebenfalls von Berufsbetreuerinnen und Betreuern übernommen werden müssen.

 

Zu den bisherigen Aufgaben der Betreuungsbehörde kommen aufgrund der Reform in erheblichem Umfang zusätzliche Aufgaben hinzu.

 

 

II. Kerngedanken der Betreuungsrechtsreform

 

Der grundlegende Auftrag für die Reform ergibt sich aus der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), in der sich die Vertragsstaaten verpflichtet haben, „geeignete Maßnahmen zu treffen, um Menschen mit Behinderungen Zugang zu der Unterstützung zu verschaffen, die sie bei der Ausübung ihrer Rechts- und Handlungsfähigkeit gegebenenfalls benötigen“ (Art. 12 Abs. 3 UN-BRK).

 

 

Dieser Leitgedanke bestimmt die Ziele der Reform:

 

  1.               Bessere Wahrung des Selbstbestimmungsrechts
  2. Effektivere Umsetzung des Erforderlichkeitsgrundsatzes
  3. Verbesserung der Qualität in der Betreuung

 

 

Umsetzung der Ziele:

 

Deutlichere gesetzliche Verankerung der Leitgedanken

 

  • Wunsch statt Wohl: Neue „Magna Charta“ des Betreuungsrechts
  • Unterstützen vor Vertreten

Stärkere Prüfung der Erforderlichkeit im Vorfeld

 

  • Durchführung der „Erweiterten Unterstützung“ durch Betreuungsbehörde
  • Engere Zusammenarbeit der Betreuungsbehörde mit Sozialleistungsträgern
  • Neues Ehegattenvertretungsrecht
  • Ziel der Vermeidung von Betreuung

 

 

Qualitätssteigerung durch erhöhte Anforderungen an Betreuende

 

  • Registrierungsverfahren für Berufsbetreuerinnen und -betreuer bei der Betreuungsbehörde
  • Vertragliche Anbindung von ehrenamtlichen Betreuerinnen und  Betreuern an den Betreuungsverein
  • Qualitätssteigerung in der Betreuung durch neue gesetzliche Vorschriften (u.a. Kontrolle gekoppelt an Wunsch, Trennung von Betreuungsrecht vom Vormundschaftsrecht)

 

 

III. Aufgaben der Betreuungsbehörde ab 01.01.2023

 

Die künftigen Aufgaben der Betreuungsbehörde sind festgeschrieben im neuen Betreuungsorganisationsgesetz (BtOG). Es ersetzt das derzeit gültige Betreuungsbehördengesetz (BtBG). Die bisher im BGB geregelten Vorschriften für die Betreuungsvereine und Betreuerinnen und Betreuer, ehrenamtliche und berufliche, wurden ebenfalls in das neue Gesetz eingefügt.

 

Der gesetzliche Auftrag für die Betreuungsbehörde besteht künftig weiterhin aus den bisherigen Aufgaben, die in vollem Umfang weiter zu erfüllen sind. Dazu kommen eine Vielzahl an neuen und erweiterten Aufgaben, die sich aus der Zielsetzung des Reformgesetzes ergeben.

 

Die bisherigen Aufgaben der Betreuungsbehörde sind:

 

  • Unterstützung der Betreuungsgerichte (sog. Betreuungsgerichtshilfe: Sachverhaltsermittlungen, Betreuervorschlag, Stellungnahmen, Vorführungen zu Anhörungen und Begutachtungen, Zuführungen zu Unterbringungen)
  • Beratung über allgemeine betreuungsrechtliche Fragen und andere Hilfen im Vorfeld einer rechtlichen Betreuung
  • Beratung und Unterstützung von Betreuerinnen und Betreuern
  • Gewinnung und Auswahl geeigneter Berufsbetreuerinnen und -betreuer
  • Beratung und Unterstützung von Bevollmächtigten
  • Information und Beratung über Vollmachten und Betreuungsverfügungen
  • öffentliche Beglaubigung von Vollmachten und Betreuungsverfügungen
  • Netzwerkarbeit

 

Zu diesen Aufgaben kommen neue und erweitere gesetzliche Aufträge hinzu.

 

 

 

 

 

 

 

Zur Erweiterung der bisherigen Aufgaben zählen:

 

  • Informations- und Beratungspflicht erweitert um das neue Ehegattenvertretungsrecht
  • Ausweitung der Zuständigkeit und Erweiterung des Beratungsauftrags bei öffentlicher Beglaubigung von Vollmachten
  • Vermittlung geeigneter Hilfen konkretisiert um Kontaktherstellung und Unterstützung bei der Antragstellung
  • Verpflichtende Einbindung der Betreuungsbehörde durch das Betreuungsgericht bei Betreuungsverlängerungen
  • Verpflichtender Betreuervorschlag mit Eignungsüberprüfung (Führungszeugnis und Schuldnerverzeichnisauskunft auch bei Ehrenamtlichen)

 

 

Die neuen Aufgaben der Betreuungsbehörde stellen sich wie folgt dar:

 

  • Registrierungsverfahren für Berufsbetreuerinnen und -betreuer (künftig Verwaltungsakt, u.a. Prüfung Sachkundenachweis)
  • Verwaltung und Überwachung der registrierten Betreuerinnen und Betreuer (u.a. Mitteilungs- und Nachweispflichten, Änderungen, Widerrufe, Löschung usw.)
  • Durchführung einer „Erweiterten Unterstützung“ (umfassende Begleitung von Betroffenen im Vorfeld einer Betreuung zur evtl. Betreuungsvermeidung)
  • Mitteilungspflicht an Betreuungsverein über Bestellung Ehrenamtlicher
  • Unterstützung der Ehrenamtlichen beim Abschluss der Vereinbarung mit Betreuungsverein

 

Der Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg als überörtliche Betreuungsbehörde hat zusammen mit dem Landkreistag Baden-Württemberg und dem Städtetag Baden-Württemberg eine Orientierungshilfe zum Personalmehrbedarf nach dem BtOG ab 01.01.2023 erarbeitet.

 

Auf Grundlage dieser Orientierungshilfe und unter Heranziehung der statistischen Fallzahlen des Ostalbkreises wurde ein Mehraufwand von rund 5.877 Stunden errechnet. Bei einem Stundenumfang einer Vollzeitstelle von durchschnittlich 1.628 Stunden pro Jahr (KGSt-Bericht 7/2021: Kosten eines Arbeitsplatzes Stand 2021/2022, S. 16 - Mittelwert Beamte bzw. Sozialpädagogen) ergibt dies voraussichtlich ein Mehrbedarf von rund 3,5 Stellen.

 

 

IV. Herausforderungen für die Zukunft

 

Im Jahr 1992 trat das Gesetz zur Reform des Rechts der Vormundschaft und Pflegschaft für Volljährige in Kraft. Damit war u.a. die Entmündigung abgeschafft. Das Betreuungsrecht feiert in diesem Jahr sein 30-jähriges Bestehen und wird zum 01.01.2023 grundlegend reformiert.

 

Mit dieser Betreuungsrechtsreform kommt der Gesetzgeber noch deutlicher seinem Auftrag nach, die UN-BRK umzusetzen und die Selbstbestimmung unterstützungsbedürftiger Menschen zu stärken.

 

Die Reform bringt damit eine klare Haltung zum Ausdruck. Der Wunsch der Betreuten steht im Vordergrund und der Auftrag zur vorrangigen Unterstützung zur eigenen Entscheidungsfindung vor der Stellvertretung.

 

Diese Haltung umzusetzen erfordert eine hohe Qualität der Betreuerinnen und Betreuer. Bei den Berufsbetreuerinnen und -betreuern wird zur Sicherstellung der Qualität ein neues Registrierungsverfahren eingeführt, welches bei der Betreuungsbehörde angesiedelt ist. Die Betreuungsbehörde wird künftig Stammbehörde und erfüllt damit eine komplett neue Aufgabe.

 

Die Qualität der ehrenamtlichen Betreuerinnen und Betreuer wird durch eine engere vertragliche Anbindung an die Betreuungsvereine gewährleistet. Ein gut aufgestellter Betreuungsverein ist für den Landkreis auch vor diesem Hintergrund eine tragende Säule im Betreuungswesen und ein wichtiger Kooperationspartner.

 

Eine große Herausforderung für die Zukunft wird sein, genügend geeignete Berufsbetreuerinnen und Betreuer zu finden. Die Entwicklung im Betreuungsrecht zeigt, dass die Anzahl an Betreuungen, die nicht über Angehörige oder sonstige Ehrenamtliche abgedeckt werden können, zunimmt. Gründe sind zum einen die immer komplexer werdenden Problemlagen der Betreuten, insbesondere der psychisch erkrankten Menschen; zum anderen die gestiegenen bürokratischen Anforderungen, u.a. durch die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes.

 

Hinzu kommt die Altersstruktur bei den Bestandsbetreuerinnen und -betreuern. Auch aus diesem Grund wird die Akquise von neuen Berufsbetreuerinnen und -betreuern eine wichtige Aufgabe für die Betreuungsbehörde bleiben, zusätzlich zu den erweiterten und neuen Aufgaben, die die Betreuungsrechtsreform mit sich bringt.

 

Wie sich das Betreuungsrecht durch die Gesetzesreform weiterentwickeln wird und ob die Umsetzung der neuen Magna Charta gelingen wird, entscheidet sich auch anhand der Ressourcen der Akteure. Wenn der Auftrag des Gesetzgebers gut gelingen soll, ist eine adäquate Ausstattung der Betreuungsbehörde unerlässlich. Als wichtige Schnittstelle zu den Betroffenen, den Betreuungsgerichten, dem Betreuungsverein und den Betreuerinnen und Betreuern fällt ihr eine zentrale Rolle im Betreuungswesen im Ostalbkreis zu.

 


Finanzierung und Folgekosten

 

Im Haushaltsplan 2022 (Produkt 3170010000) sind die Personalkosten der Betreuungsbehörde mit einem Planansatz von 488.167 € enthalten.

 

Der Stellenmehrbedarf ist im Stellenplan 2023 zu berücksichtigen.

 

In Bezug auf die Ausweitung der Aufgaben der Betreuungsbehörden ist der Landkreistag Baden-Württemberg bereits im Austausch mit dem Land zu möglichen konnexitätsrechtlichen Ansprüchen. Die Zuständigkeit zwischen Sozialministerium und Justizministerium ist jedoch noch nicht abschließend geklärt.

 

 

 

 


Anlagen

 

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Sichtvermerke

 

gez. Götz, Geschäftsbereich Soziales

gez. Götz i. V. Urtel, Dezernat V

gez. Kurz, Dezernat II

gez. Dr. Bläse, Landrat