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Vorlage - 213/2018  

 
 
Betreff: Einführung eines Sozialtickets für den ÖPNV
Status:öffentlich  
Federführend:Geschäftsbereich Nahverkehr   
Beratungsfolge:
Ausschuss für Umweltschutz und Kreisentwicklung Entscheidung
23.10.2018 
Sitzung des Ausschusses für Umweltschutz und Kreisentwicklung ungeändert beschlossen   

Antrag der Verwaltung

 

Der Ausschuss für Umweltschutz und Kreisentwicklung nimmt von dem Bericht der Verwaltung Kenntnis. Die Einführung eines Sozialtickets wird nicht weiter verfolgt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Sachverhalt/Begründung

 

Vorbemerkung

 

Im Zuge der Haushaltsberatungen 2018 im Herbst 2017 stellte „DIE LINKE“ im Kreistag den Antrag hinsichtlich der „Einrichtung eines Sozialtickets für den ÖPNV.“

 

Im Frühjahr 2018 bat zudem die Stadtverwaltung Schwäbisch Gmünd zu prüfen, inwieweit Inhabern der Bonuscard ein kostenloser bzw. verbilligter Zugang zu ÖPNV-Fahrkarten zu ermöglichen wäre. Aufgrund des Sinnzusammenhanges wird diese Anfrage hier mitbehandelt.

 

Am 4. Februar 2014 setzte sich der Ausschuss für Umweltschutz und Kreisentwicklung zuletzt mit einer möglichen Einführung auseinander. Der damalige Sachstandsbericht war zur Kenntnisnahme ausgelegt, eine Abstimmung hinsichtlich einer möglichen Einführung erfolgte nicht.

 

 

Hintergrund Sozialticket

 

Sozialtickets besitzen den Anspruch sozial bedürftigen Menschen umsonst oder zumindest vergünstigt, die Nutzung des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) zu ermöglichen.

 

Zum potentiellen Berechtigungskreis gehören Empfänger des Arbeitslosengeldes II (ALG II) und Sozialgeldes nach dem SBG II, Empfänger von Sozialhilfe (SGB XII) und Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Im Rahmen von „Bonuscard“-Systemen erweitert sich der Kreis der Berechtigten mitunter beträchtlich (z. B.: Einkommen bis 30 % über der gesetzlich festgelegten Grundsicherung).

 

Sozialtickets werden stets auf lokaler bzw. regionaler Ebene konzipiert bzw. ausgegeben. Es existiert weder eine flächenmäßige Abdeckung noch eine einheitliche, standardisierte Ausgestaltung.

 

 

Pro und Contra

 

Folgende Argumente werden in den Diskussionen zum Komplex Sozialticket aufgeführt:

 

 

Pro:

 

  • Teilhabe am sozialen Leben durch günstige Mobilität

    Mobilität ist ein verbindendes Element der Daseinsvorsorge indem sie verschiedenste Aspekte des alltäglichen Lebens miteinander verknüpft. Die Möglichkeit des „Mobil-seins“ ist daher für die Partizipation unverzichtbar. Der Regelsatz für das ALG II von derzeit 416 Euro/Monat (erwachsene Person) sieht einen Anteil für „Verkehr“ in Höhe von 34,66 Euro/Monat vor, dies beinhaltet sowohl den Nah- als auch den Fernverkehr sowie die Pkw-Unterhaltung. Bei AsylbLG-Berechtigten werden für diese Position 25,48 Euro/Monat vorgehalten. Ein Sozialticket, das mitunter eine unbegrenzte Nutzung des lokalen ÖPNVs beinhaltet, würde die Mobilitäts-Situation für sozial Schwache sicherlich verbessern.


 

  • Kosten für Fahrscheine steigen schneller als die Regelsätze

    Die durchschnittlichen Fahrscheinkosten des ÖPNV stiegen in Deutschland zwischen 2010 und 2018 um 23 %, der Regelsatz des ALG II hingegen lediglich um 14 %. Der vielerorts verfolgte Ansatz einer höheren Nutzerfinanzierung ging folglich zu Lasten bedürftiger ÖPNV-Nutzergruppen. Mit einer durchschnittlichen Erhöhung der OstalbMobil-Preise um 18 % seit 2010 fallen die Tarifsteigerungen im Ostalbkreis etwas geringer aus als im Bundesschnitt.

 

  • Gewinnung neuer Kundengruppen

    Es ist denkbar, dass zusätzliche, bisher unerschlossene Kundengruppen gewonnen werden können, die wiederum Gelder in das ÖPNV-System einbringen und somit einer erhöhten Wirtschaftlichkeit förderlich sind. Da diese Personengruppen i. d. R. außerhalb der Stoßzeiten unterwegs sind, ist von gleichbleibenden Kosten bei den Verkehrsunternehmen auszugehen.

 

 

Contra:

 

  • Regelsätze durch Bundesverfassungsgericht bestätigt

    Jenseits der stets subjektiv geführten Diskussion um die Angemessenheit der Regelsätze hat das Bundesverfassungsgericht zuletzt 2014 die Höhe mit der BegründungDie Anforderungen des Grundgesetzes, tatsächlich für eine menschenwürdige Existenz Sorge zu tragen, werden im Ergebnis nicht verfehlt.“ bestätigt.

 

 

  • Bevorzugung gegenüber Geringverdienern

    Kritisiert wird oftmals, dass ein Sozialticket eine Besserstellung gegenüber z. B. im Niedriglohn-Sektor oder in Teilzeit Beschäftigten darstellt. So müsste etwa ein Auszubildender im Friseurhandwerk, dessen Vergütung in etwa dem ALG II-Regelsatz entspricht, mangels Berechtigung auf das reguläre Tarifangebot zurückgreifen, sofern der Kreis der Berechtigten nicht umfassend ausgeweitet würde.

 

  • Geringer Anteil von Neunutzern

    Vielerorts hat sich gezeigt, dass weitaus weniger Neunutzer das Sozialticket beziehen. In Freiburg habe der Anteil lediglich 3,75 % betragen. Oftmals handelt es sich um Tarifwechsler. Der daraus resultierende Mitnahmeeffekt wirkt sich negativ auf die Einnahmesituation der Verkehrsunternehmen aus und müsste von der öffentlichen Hand zusätzlich ausgeglichen werden. Ferner wurde festgestellt, dass lediglich 5 bis 25 % der potentiell Berechtigten − je „ländlicher“ desto weniger − ein Sozialticket in Anspruch nehmen.

 

  • Hohe Verwaltungs- und Umsetzungskosten

    Eine mögliche Umsetzung bedürfte notwendigerweise den Aufbau institutioneller Strukturen, sei es beim GB Nahverkehr oder beim Tarifverbund OstalbMobil. Der Vertriebs- und Prüfaufwand ist je nach Art der Ausgestaltung eines Sozialtickets nicht unerheblich, wenngleich schwer quantifizierbar.

 

 

Wieviel ÖPNV ist mit ALG II im Ostalbkreis möglich?

 

Bei voller ÖPNV-Nutzung des ALG II-Anteils für „Verkehr“ (34,66 Euro/Monat, erwachsene Person) lässt sich beispielhaft folgende ÖPNV-Mobilität im Ostalbkreis sicherstellen: Mittels Anwendung der OstalbMobil-Chipkarte (20 % Rabatt für Einzelfahrscheine) ließen sich 6 Hin- und Rückfahrten von Mögglingen nach Aalen oder Gmünd (inkl. Stadtbusverkehr) oder 18 Fahrten in den Innenstadtbereichen der großen Kreisstädte oder 5 Fahrten quer durch das ganze Kreisgebiet finanzieren. 

 

 

Situation Baden-Württemberg

 

In Baden-Württemberg werden Sozialtickets i. d. R. durch Kommunen ausgegeben. Oftmals geschieht dies in Rahmen von Sozialpässen („Bonuscards“), welche neben einer verbilligten Nutzung des ÖPNV auch andere Vorteile vorsehen, etwa ermäßigte Vereinsbeiträge, vergünstigte Bädernutzung etc. Solche, den Nahverkehr beinhaltenden Angebote gibt es etwa in Konstanz, Stuttgart, Mannheim, Karlsruhe, Kornwestheim oder Heidelberg. Für die ÖPNV-Nutzung werden Fahrkarten verbilligt ausgeben, meist um 50 %. Den daraus resultierenden Abmangel trägt die jeweilige Kommune. Im Falle der Landeshauptstadt Stuttgart waren es 2016 ca. 5,1 Mio. Euro.

 

Die Stadt Heilbronn beschloss im Januar 2018 nach drei Jahren die Abschaffung der bezuschussten Sozialtickets, vor allem mit Verweis auf den Zuschussbedarf in Höhe von 450.000 Euro/Jahr.

 

Die Landkreise Rems-Murr, Esslingen und Ludwigsburg lehnen eine Einführung derzeit ab.

 

In unmittelbarer Nachbarschaft hat bisher der Landkreis Göppingen ein Sozialticket flächendeckend eingeführt. Dieses wird nachfolgend skizziert.

 

 

Sozialticket Landkreis Göppingen

 

Das Sozialticket wurde zum 01.01.2017 in Göppingen (Verkehrsverbund Filsland) eingeführt. Forderungen, ein solches zu entwickeln, gab es schon seit geraumer Zeit. Als das Land Baden-Württemberg im Jahr 2016 entschied, die bislang von den Landkreisen zu bezahlende Fahrradmitnahme in den Nahverkehrszügen fortan selber zu schultern, wurden die freigewordenen Mittel (160.000 Euro/Jahr) zur Finanzierung eines Sozialtickets verwendet. (Hinweis: Im Ostalbkreis flossen diese Gelder in die Konsolidierung des ÖPNV-Haushalts). Der Kreis der potentiell Berechtigten wurde mit 10.000 angegeben. Das Landratsamt kalkulierte mit einer Inanspruchnahme von ca. 1.000 Personen. Angelehnt an das Filsland-Seniorenticket werden Netztickets zum Preis von 44 Euro/Monat ausgegeben, der zu tragende Eigenanteil der Bezugspersonen beläuft sich auf 29 Euro/Monat. Das Delta von 15 Euro trägt der Landkreis ebenso wie das Inkassorisiko. Das Sozialticket wird von mehr Personen bezogen als zunächst abgeschätzt, tatsächlich sind es bis zu 1.800 Abnehmer. Der jährlich zu deckende Fehlbetrag beträgt ca. 290.000 Euro/Jahr (Tarifausgleich und Zahlungsausfälle). Der anfallende Verwaltungsaufwand beim Landratsamt und Verkehrsverbund Filsland sei nicht unbeachtlich. Gemäß Beschlussfassung des zuständigen Ausschusses vom 25.09.2018 wird das ursprünglich probeweise eingeführte Ticket, aufgrund der als Erfolg gewerteten Nutzerzahl, dauerhaft angeboten.

 

 


Berechtigte

 

Im Falle einer Konzentration der Berechtigten auf Empfänger von Leistungen nach ALG II/SGB II, SGB XII und AsylbLG ergäbe sich im Ostalbkreis derzeit folgendes Bild:

 

  • Empfänger ALG II, SGB II = 9.729
  • Empfänger für Hilfe zum Lebensunterhalt nach SGB XII = 139
  • Empfänger von Grundsicherung nach SGB XII =1.851
  • Empfänger gemäß AsylbLG = 673

 

Somit ergäbe sich zunächst eine Gesamtzahl von 12.392 potenziell Berechtigten. Abzüglich der unter 25-Jährigen, welche weitgehend über das Bildungs- und Teilhabepaket unterstützt werden, verbliebe ein Kreis von ca. 8.250 Personen.

 

 

Umsetzungskalkulation

 

Bei einer Umsetzung in Anlehnung an das Göppinger Modell (15 Euro Zuschuss/Monat, 29 Euro/Monat Eigenanteil) und den dort gemachten Erfahrungen (15 % Nutzungsanteil, Zahlungsausfalldeckung = 25.000 Euro) ergäbe sich für den Ostalbkreis ein grober Zuschussbetrag von etwa 250.000 Euro jährlich, zuzüglich des Verwaltungsaufwandes. Es gilt jedoch darauf hinzuweisen, dass die tariflichen Voraussetzungen (kein preislich vergleichbares Netzticket) und die ÖPNV-Finanzierung (streckenbezogene Spitzabrechnung auf Basis individueller Haustarife) im Ostalbkreis stark von derjenigen im Landkreis Göppingen abweichen.

 

 

Wertung

 

Die Landkreisverwaltung begegnet der Einführung eines Sozialtickets mit Skepsis. Begründet wird dies mit der überschaubaren Inanspruchnahme dieser Vergünstigung sowie des nur schwerlich zu kalkulierenden Umsetzungs-, Verwaltungs-, und Kostendeckungsaufwandes.

 

Analog wird eine Landkreis-Beteiligung an kleinräumigen Lösungen, wie der Gmünder Bonuscard, als nicht umsetzbar angesehen.

 

Ein Sozialticket stellt eine reine Freiwilligkeitsleistung dar. Es besteht der grundsätzliche Anspruch den ÖPNV für alle Bevölkerungsgruppen attraktiv und bezahlbar zu gestalten. Eine mögliche Finanzierung eines Sozialtickets dürfte nicht auf Kosten der derzeitigen Fahrgäste, etwa der Zeitkartennutzer oder Eigenanteil-Zahler gehen. Somit bedürfte es einer Kostendeckung nicht aus dem ÖPNV- und Schülerbeförderungshaushalt sondern aus anderweitig zu schaffender Etats.

 


Finanzierung und Folgekosten

 

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Anlagen

 

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Sichtvermerke

 

 

 

Geschäftsbereich Nahverkehr

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Gehlhaus

 

 

Dezernat VII

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Wagenblast

 

 

Dezernat II

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Kurz

 

 

Landrat

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Pavel