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Vorlage - 233/2015  

 
 
Betreff: Unterbringung, Betreuung und Versorgung unbegleiteter minderjähriger Ausländer
Status:öffentlich  
Federführend:Geschäftsbereich Jugend und Familie   
Beratungsfolge:
Jugendhilfeausschuss Kenntnisnahme
02.12.2015 
Sitzung des Jugendhilfeausschusses zur Kenntnis genommen   

Antrag der Verwaltung

 

Kenntnisnahme

 


Sachverhalt/Begründung

 

I. Ausgangssituation und Allgemeines

 

Minderjährige Flüchtlinge, die ohne ihre Familien nach Deutschland kommen, erhalten besonderen Schutz. Für sie gelten nicht die originären flüchtlingsrechtlichen Zuständigkeiten, sondern die Vorgaben der Jugendhilfe. Die bis 31.10.2015 als unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) bezeichneten junge Menschen mussten vom Jugendamt, in dessen Zuständigkeitsbereich sie erstmals registriert wurden, zunächst gem. § 42 SGB VIII (Sozialgesetzbuch VIII) in Obhut genommen, betreut und versorgt werden. Da diese Gesetzesregelung zu massiven Belastungen für Jugendämter mit Länderaußengrenzen, mit LEA-Standorten oder mit zentralen Anlaufpunkten (Großraum Stuttgart) führte, wurde im November 2014 in Baden-Württemberg auf der Basis einer freiwilligen Selbstverpflichtung aller Jugendämter ein Verteilverfahren eingeführt. Jugendämter mit LEA-Standorten wurden aus der Verteilung genommen, da diese mit Inobhutnahmen junger Flüchtlinge schon enorm gefordert sind. Im Ostalbkreis war dies ab Juni 2015 der Fall.

 

II. Aktuelle Situation/Fallzahlen im Ostalbkreis

 

Werden minderjährige Flüchtlinge ohne Begleitung registriert, werden sie dem örtlichen Jugendamt überstellt. Das Jugendamt nimmt die Erfassung persönlicher Daten, die Alterseinschätzung sowie die Prüfung von Verwandten als möglicherweise geeignete Begleitperson vor und nimmt den UMF erforderlichenfalls unmittelbar in Obhut.  Aus nachstehender Tabelle sind links die im Ostalbkreis betreuten Fälle insgesamt, rechts die in Obhut genommenen UMF dargestellt.

 

Alterseinschätzungen

 davon

 Volljährige

davon

Inobhutnahmen

Mai

4

0

0

Juni

16

0

5

Juli

49

2

8

August

96

9

16

September

156

0

46

Oktober

125

8

32

November

58

6

24

gesamt

504

25

131

 

 

 

Stand: 17.11.15

Der deutliche Unterschied zwischen Gesamtfallzahl und Inobhutnahmen rührt daher, dass ein erheblicher Teil der UMF gemeinsam mit nahen Verwandten in der LEA verbleiben kann.

 

Um die Inobhutnahme der UMF zu bewältigen, war das Jahr 2015 geprägt von der Gewinnung von zusätzlichen jugendhilferechtlich zulässigen Unterbringungsmöglichkeiten mit den damit einhergehenden sehr umfangreichen Formalien. Der aktuelle Stand der Unterbringungskapazitäten für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge kann nachfolgender Tabelle entnommen werden. Zur Verdeutlichung der Veränderungen in der Jugendhilfelandschaft durch diese zusätzliche Aufgabe wird angemerkt, dass im Ostalbkreis bis zur Eröffnung der LEA Ellwangen 5 Inobhutnahmeplätze ausreichend waren. 

 

 

Plätze

Einrichtung, Standort

Wohnform

12

Marienpflege, Ellwangen

Wohngruppe

8

Jugendhilfeland, Ruppertshofen

Wohngruppe

7

Förderverein Aufwind, Aalen

Wohngruppe

4

Canisiushaus, Schwäbisch Gmünd u. Aalen

Wohngruppe

6

Gesellschaft für sozialpädagogische Hilfen,

Schwäbisch Gmünd

Betreutes Jugendwohnen

6

Input, Aalen u. Westhausen

Betreutes Jugendwohnen

2

Kinderheim Graf, Ellwangen

Betreutes Jugendwohnen

3

Vollzeitpflege, Heubach, Abtsgmünd

Pflegefamilie

ca. 15

In Planung: Marienpflege, Josefstal

Wohngruppe

 

 

III. Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und   

     Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher

 

Auf Initiative des Freistaates Bayern wurde an einer Gesetzesänderung zur besseren Verteilung der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge gearbeitet und ein Inkrafttreten zum 1.1.2016 anvisiert. Aufgrund des enormen Drucks und der Überforderung vieler Jugendämter wurde das Bundesgesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher im beschleunigten Verfahren verabschiedet und zum 1.11.2015 in Kraft gesetzt. Dabei wurde den Ländern eine Übergangsfrist bis 1.1.2016 eingeräumt. Das Land Baden-Württemberg hat sich zur sofortigen Umsetzung der Gesetzesänderung entschieden. Es ist vorgesehen, das Gesetz zur Änderung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes für Baden-Württemberg Mitte Dezember zu verabschieden und rückwirkend zum 1.11.2015 in Kraft zu setzen.

 

Neuerungen seit 1.11.2015:

 

Das zum 1. November 2015 in Kraft getretene Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Betreuung und Versorgung unbegleiteter ausländischer Kinder und Jugendlicher (abgekürzt jetzt UMA, nicht mehr UMF) bringt bundesweit einschneidende Änderungen bei der Verteilung minderjähriger Flüchtlinge. Das neue Gesetz soll sicherstellen, dass die unbegleiteten Kinder und Jugendlichen gleichmäßiger verteilt werden. Künftig gibt es eine bundesweite Aufnahmepflicht für alle Kreise. Maßstab für die Verteilung ist ein bundesweites und jeweils landesinternes Verteilverfahren, das sich an den Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen orientiert.

Das erstaufnehmende Jugendamt kann Minderjährige damit unter bestimmten Voraussetzungen zur bundesweiten oder landesinternen Verteilung anmelden. Bei der Überführung sind die UMA von einer geeigneten Person zu begleiten und am Zielort von einer Fachkraft des zuständigen Jugendamtes in Empfang zu nehmen.

 

Im Wesentlichen wird die Betreuung und Versorgung von UMA in ein dreistufiges Verfahren unterteilt.

 

Stufe 1:

 

Vorläufige Inobhutnahme von ausländischen Kindern und Jugendlichen nach unbegleiteter Einreise  

 

Ein junger Flüchtling wird weiterhin vom Jugendamt, in dessen Zuständigkeitsbereich der Sachverhalt „minderjährig unbegleitet“ erstmals erfasst wird, gem. dem neu eingeführten § 42a SGB VIII in Obhut genommen. Das Jugendamt hat während der vorläufigen Inobhutnahme zusammen mit dem Kind oder dem Jugendlichen einzuschätzen,

  1. ob das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen durch die Durchführung des Verteilungsverfahrens gefährdet würde,
  2. ob sich eine mit dem Kind oder dem Jugendlichen verwandte Person im Inland oder im Ausland aufhält,
  3. ob das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen eine gemeinsame Inobhutnahme mit Geschwistern oder anderen unbegleiteten ausländischen Kindern oder Jugendlichen erfordert und
  4. ob der Gesundheitszustand des Kindes oder des Jugendlichen die Durchführung des Verteilungsverfahrens innerhalb von 14 Werktagen nach Beginn der vorläufigen Inobhutnahme ausschließt; hierzu soll eine ärztliche Stellungnahme eingeholt werden.

 

Auf der Grundlage des Ergebnisses der Einschätzung entscheidet das Jugendamt über die Anmeldung des Kindes oder des Jugendlichen zur Verteilung oder den Ausschluss der Verteilung. Die vorläufige Inobhutnahme ist innerhalb von 7 Werktagen der Landesverteilstelle, in Baden-Württemberg dem Kommunalverband für Jugend und Soziales (KVJS), Stuttgart, sowie dem Bundesverwaltungsamt zur Verteilung anzumelden oder der Ausschluss anzuzeigen.

 

 

Stufe 2:

 

Verfahren zur Verteilung unbegleiteter ausländischer Kinder und Jugendlicher

 

Die Bundesverteilstelle (Bundesverwaltungsamt) benennt innerhalb von 2 Werktagen nach Anmeldung das zur Aufnahme verpflichtete Bundesland. Die Landesverteilstelle (KVJS) weist den UMA innerhalb von weiteren 2 Werktagen einem in seinem Bereich gelegenen Jugendamt zur fortgesetzten Inobhutnahme zu. Die bundesweite Verteilung richtet sich nach dem Königsteiner Schlüssel, die landesinterne Verteilung nach Bevölkerungsanteilen. Das Jugendamt, das die vorläufige Inobhutnahme durchgeführt hat, hat die Verbringung zum künftig zuständigen Jugendamt durch eine geeignete Begleitperson sicherzustellen. Das Jugendamt, dem der UMA zugeteilt wird, nimmt diesen in geeigneter Form in Obhut (zweistufige Inobhutnahme).

 

Verteilverfahren in Baden-Württemberg:

Baden-Württemberg muss nach dem Königsteiner Schlüssel eine Quote von 13% an den ins Bundesgebiet einreisenden UMA aufnehmen.

 

 

Der Ostalbkreis hat bei der landesinternen Verteilung eine Quote von 2,89% zu erfüllen. Durch das neue Verteilverfahren ist das Privileg für Jugendämter mit LEA-Standort (ausschließlich Durchführung von Inobhutnahmen) gefallen. Durch die gleichgewichtete Zählweise von Inobhutnahmen und regelmäßiger Hilfe zur Erziehung bei der landesinternen Verteilung entsteht eine besondere Belastung der Jugendämter, die vorläufige Inobhutnahmen durchzuführen haben. Davon betroffen sind insbesondere Jugendämter mit LEA-Standort.

 

Seit 1.11. dieses Jahres sind bundesweit alle Jugendämter verpflichtet, werktäglich an die Bundes- u. Landesverteilstelle die Zahl der tatsächlich betreuten UMA zu melden. Auf der Grundlage dieser Erhebungen befinden sich zum Stand 16.11.2015 4.351 UMA in Baden-Württemberg. Die Quote nach dem Königsteiner Schlüssel liegt aktuell bei rund 7.700 UMA für Baden-Württemberg. Vor der enormen Zunahme von UMA in der Jugendhilfe hatte Baden-Württemberg relativ konstant etwa 7.300 junge Menschen in stationären Maßnahmen. Damit muss in Baden-Württemberg die Platzzahl für stationäre Jugendhilfen innerhalb kürzester Zeit mehr als verdoppelt werden. Durch die UMA bedingt wurden bisher 1.200 neue stationäre Plätze in Baden-Württemberg betriebserlaubt.  

 

Ausgehend von einer Quote von 7.700 UMA für Baden-Württemberg sind im Ostalbkreis voraussichtlich rund 220 UMA fortlaufend zu betreuen und zu versorgen. Bei der Meldung am 17.11.2015 waren es 147, wobei die Zahl aufgrund auslaufender Altfälle in kurzer Zeit auf rund 120 UMA im Ostalbkreis fallen wird. Es ist daher davon auszugehen, dass im Ostalbkreis in den nächsten Monaten rund 100 UMA zusätzlich zu betreuen sein werden.

 

Stufe 3:

 

Anschlussmaßnahme

 

Auch für die dauerhafte Betreuung und Versorgung eines unbegleiteten, ausländischen Kindes oder Jugendlichen gilt das Primat der Jugendhilfe. Das Jugendamt, dem der UMA zugeteilt wurde, übernimmt dauerhaft im Rahmen der Hilfen zur Erziehung die Betreuung und Versorgung. Hier stehen im Wesentlichen die Hilfeformen Vollzeitpflege, Heimerziehung sowie sonstige betreute Wohnformen (Betreutes Jugendwohnen) zur Verfügung. Es findet auch nach Erreichen des 18. Lebensjahres die Weiterbetreuung und Unterstützung bei der Verselbständigung durch die Jugendhilfe statt. Beim weiteren Ausbau der Kapazitäten zur Betreuung und Versorgung minderjähriger Flüchtlinge werden die Gewinnung von Gastfamilien (Vollzeitpflege) und die betreuten Wohnformen (nur für über 16-Jährige erlaubt) eine große Rolle spielen.

 

Organisatorische und personelle Auswirkungen

 

Die Unterbringung der minderjährigen Flüchtlinge wird durch die freien und privaten Jugendhilfeträger im Ostalbkreis übernommen. Im Rahmen entsprechender Leistungs- und Entgeltvereinbarungen können hier gute Rahmenbedingungen geschaffen werden. Die Zusammenarbeit zwischen freier und öffentlicher Jugendhilfe gelingt dabei im Ostalbkreis ausgesprochen gut. Probleme bereiten die nicht vorhersehbare Bedarfslage, sowie die Gewinnung von geeigneten Räumlichkeiten und geeignetem Personal unter hohem Zeitdruck. Das Land ist gesetzlich zur Erstattung der direkten Unterbringungskosten verpflichtet.

 

Der erforderliche Verwaltungs- und Personalaufwand des Landkreises zur Bewältigung dieser Aufgabe wird nicht erstattet. Durch die LEA Ellwangen entstand ab Sommer dieses Jahres ein enormer zusätzlicher Arbeitsanfall, insbesondere im Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD), sowie in der wirtschaftlichen Jugendhilfe (WJH) und der Amtsvormundschaft. Auch die Leitungsverantwortlichen im Geschäftsbereich waren 2015 ganz überwiegend mit der Thematik UMA befasst. Insbesondere die unmittelbar durchzuführende Ersterfassung, Altersfeststellung, Prüfung von Angehörigen, Organisation der medizinischen Untersuchung und in vielen Fällen die Unterbringung in ständig neu zu schaffenden Inobhutnahmeeinrichtungen, verursacht eine enorme Arbeitsbelastung. Zunächst wurden mangels zusätzlicher Ressourcen alle drei Dienststellen des Geschäftsbereichs in Aalen, Schwäbisch Gmünd und Ellwangen, in die Bearbeitung mit einbezogen. Nachdem im Zuge des verbesserten Kinderschutzes im Oktober die Übernahme von Studienabsolventen zur Personalaufstockung möglich war, wurden diese zusätzlichen Ressourcen zur Herausbildung eines UMA-Teams innerhalb des ASD mit Sitz in Ellwangen eingesetzt. Seit Oktober findet die Fallbearbeitung sowohl im ASD als auch in der wirtschaftlichen Jugendhilfe von der Dienststelle im Sebastiansgraben in Ellwangen aus statt. In der LEA Ellwangen steht ein Büro zur Verfügung, so dass werktäglich Mitarbeiter vor Ort in der LEA sind und Neufälle bearbeiten.  Die damit beauftragten Fachkräfte arbeiten außerordentlich engagiert, brauchen jedoch angesichts des hohen Fallaufkommens dringend Unterstützung. Im Rahmen der Rufbereitschaft des Jugendamts werden u.a. die Inobhutnahmen der UMA außerhalb der Dienstzeiten und am Wochenende durchgeführt. Da seit geraumer Zeit Busse aus Bayern täglich gegen 18:00 Uhr starten und ca. ab 21:00 Uhr in der LEA Ellwangen ankommen, sind umfangreiche Einsätze der Rufbereitschaft in den Abend- und Nachtstunden die Regel. Einsatzzeiten im Rahmen der Rufbereitschaft im Umfang einer Vollbeschäftigung sind nicht selten.

 

Die Fallzahlen werden durch das geänderte Verteilverfahren deutlich ansteigen und es werden zusätzlich Unterbringungskapazitäten erschlossen werden müssen. Mit den vorhandenen personellen und organisatorischen Gegebenheiten kann dies nicht erreicht werden. Neben einer entsprechenden personellen Anpassung strebt die Verwaltung eine organisatorische und räumliche Bündelung aller betroffenen Mitarbeiter/innen an. Davon sind effektivere und schnellere Verfahrensabläufe zu erwarten.

 

 


Finanzierung und Folgekosten

 

Die direkten Unterbringungskosten der UMA werden vom Land erstattet.

 


Anlagen

 

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Sichtvermerke

 

Geschäftsbereichsleiterin

__________________________________________

 

Funk

 

 

Dezernat V

__________________________________________

 

Rettenmaier

 

 

Dezernat II

__________________________________________

 

Kurz

 

 

Landrat

__________________________________________

 

Pavel