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Vorlage - 098/2013  

 
 
Betreff: EU-Osterweiterung
Auswirkung des uneingeschränkten Arbeitsmarktzugangs und der Niederlassungsfreiheit für rumänische und bulgarische Staatsangehörige auf den Ostalbkreis
Status:öffentlich  
Federführend:Geschäftsbereich Sicherheit und Ordnung   
Beratungsfolge:
Sozialausschuss Kenntnisnahme
09.07.2013 
Sitzung des Sozialausschusses zur Kenntnis genommen   

Antrag der Verwaltung

Antrag der Verwaltung

 

Kenntnisnahme

Sachverhalt/Begründung

Sachverhalt/Begründung

 

Derzeitiger Sachstand

 

Rumänien und Bulgarien sind zum 01.01.2007 der EU beigetreten. Staatsangehörige dieser Länder dürfen seither uneingeschränkt nach Deutschland einreisen und als Unternehmer mit einer Firma tätig werden. Lediglich im Hinblick auf die Ausübung einer abhängigen Beschäftigung sind sie in manchen EU-Staaten, Deutschland eingeschlossen, Einschränkungen ausgesetzt. Im Gegensatz zu den übrigen EU-Bürgern benötigen sie für eine unselbständige Tätigkeit eine Arbeitserlaubnis. Der Grund für diese Einschränkung ist, dass zum Schutz des europäischen Arbeitsmarktes vor der Gewährung der vollen Freizügigkeit eine Übergangsfrist von 5 Jahren gesetzt wurde, die aufgrund entsprechender Optionsmöglichkeiten von der Bundesrepublik Deutschland um weitere 2 Jahre verlängert wurde.

Die volle Freizügigkeit wird somit ab 01.01.2014 gewährt.

Mit dem Wegfall der Arbeitserlaubnispflicht entfällt auch der seitherige nachrangige Zugang zum Arbeitsmarkt, so dass sich Rumänen und Bulgaren auf jedes Stellenangebot bewerben und dieses ohne vorherige Prüfung durch die Bundesagentur für Arbeit - annehmen können.

 

Die derzeitigen Zugangsbeschränkungen werden insbesondere durch Scheinselbständigkeit in Form von Firmengründungen, sogenannter Ein-Mann-Betriebe im zulassungsfreien Handwerk (Fliesen-, Boden-, Estrichleger), oder durch Anmeldung als Selbständiger (Hausmeisterservice, Dienstleistungen etc.) umgangen.

Allein die Stadt Schwäbisch Gmünd verzeichnet ca. 130 Gewerbeanmeldungen in diesem Bereich, überwiegend seit 2011. Die Vermutung liegt nahe, dass es sich beim Großteil um - nur sehr schwer durch den Zoll nachzuweisende - Scheingewerbe handelt. Eindeutige Hinweise darauf ergeben sich aber beispielsweise durch die Anmeldung von 20 Gewerbetreibenden unter derselben Adresse. Auch im Zuständigkeitsbereich des Ostalbkreises gehen wir von ca. 30 Scheinselbständigen aus. Beispielhaft sei auf einen Fall in Bopfingen verwiesen, in dem der Firmeninhaber mit 14 bulgarischen Staatsangehörigen eine GbR gründete und Werkverträge abschloss.

 

Seit dem Beitritt beider Länder zur EU sind im Ostalbkreis (Große Kreisstädte mit eigenen Ausländerbehörden ausgenommen) insgesamt 830 Zuzüge und 500 Wegzüge (Saisonarbeiter inbegriffen) zu verzeichnen.

Von den aktuell 330 erfassten Personen sind - sicherlich auch durch den bestehenden Leistungsausschluss in § 7 SGB II bedingt - lediglich 4 im Leistungsbezug nach dem SGB II (Hartz IV). Das Jobcenter und der Bereich Offene Hilfe (SGB XII) melden bis auf sporadische Nachfragen hinsichtlich der Voraussetzungen für den Erhalt öffentlicher Leistungen keine Auffälligkeiten. Da in der Regel kein Leistungsanspruch besteht, käme es auch nicht zu einer Antragstellung.

Verstärkte familiäre Schwierigkeiten und daraus ggf. resultierende erforderliche Inobhutnahmen sind vom Geschäftsbereich Jugend und Familie ebenfalls nicht beobachtet worden. Über bestehende sog. „Problemviertel“ kann bislang auch nicht berichtet werden. Es wurde aber in Bopfingen eine verstärkte Belegung billigen Wohnraums durch Staatsangehörige aus Rumänien und Bulgarien beobachtet und damit eine Verknappung des Wohnungsangebots in diesem Preissegment.

 

Prognose/Ausblick für die Zeit ab 01.01.2014

 

Ab 01. Januar 2014 gilt die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit.

Nicht nur die Bundesagentur für Arbeit rechnet mit einer starken Zuwanderung aus beiden Balkanländern nach Deutschland. Mit dem Wegfall der Arbeitserlaubnispflicht und dem freien Zugang zum Arbeitsmarkt können sich diese Menschen legal anstellen lassen. Die illegale Beschäftigung wird wohl insgesamt zurückgehen, da wegen des Wegfalls der Arbeitserlaubnispflicht kein rechtliches Motiv mehr zu deren Umgehung durch illegale Beschäftigung besteht. Damit verbunden besteht die Hoffnung, dass illegale Praktiken wie Anmeldung von Scheingewerben, Vorenthalten von Sozialabgaben und Beiträgen zur Berufsgenossenschaft mit der damit einhergehenden Ausbeutung der Zuwanderer (Bezahlung unter Mindestlohnniveau) und der Schädigung von Sozialkassen der Vergangenheit angehören. Jedoch dürften auch nach Wegfall der Arbeitserlaubnispflicht die mit einer illegalen Beschäftigung über ein Scheingewerbe verbundenen finanziellen Anreize für potenzielle Arbeitgeber auch dann noch bestehen bleiben, so dass der erwartete Rückgang eventuell nicht so stark wie erhofft ausfallen könnte.

 

Die derzeit in der Öffentlichkeit stark thematisierte Problematik des angeblich bereits bestehenden „Sozialtourismus“ muss differenzierter betrachtet werden.

 

Fakt ist, dass sich auch nach Wegfall der Beschränkungen für Arbeitnehmer aus den Ländern Rumänien und Bulgarien an dem bisherigen Leistungsausschluss in § 7 SBG II nichts ändern wird. Diese Vorschrift besagt, dass EU-Bürger allgemein und deren Familienangehörige, die weder eine Arbeitnehmereigenschaft nachweisen können noch selbständig tätig sind, für die ersten 3 Monate ihres Aufenthalts von Leistungen ausgenommen sind. Ebenso können auch Ausländer, deren Aufenthaltszweck allein die Arbeitssuche ist, keine SGB II-Leistungen erhalten.

Die Sozialgerichte der Bundesrepublik urteilen aber höchst unterschiedlich, was die Vereinbarkeit des durch den nationalen Gesetzgeber erlassenen Leistungsausschlusses mit EU-Recht angeht.

Weitere Probleme neben dieser höchst unterschiedlichen Behandlung des Leistungsausschlusses für arbeitsuchende Personen könnte auch die obergerichtliche Rechtsprechung zur Frage der Zugehörigkeit zum Arbeitsmarkt ergeben. Mehrere Landessozialgerichte haben entschieden, dass Arbeitnehmereigenschaft auch bei geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen vorliegt, sofern sie nicht nur völlig untergeordnete und unwesentliche Bedeutung haben. So wurde die Arbeitsnehmereigenschaft bereits bei einer Beschäftigung von 6 Wochenstunden bejaht. Für selbständig Erwerbstätige gibt es entsprechende Entscheidungen der Landessozialgerichte.

 

Zwar scheint auf Basis der augenblicklichen Situation (lediglich 4 Personen von 330 beziehen Hartz IV-Leistungen) kein begründeter Anlass für die Befürchtung eines drastischen Anstiegs der Hilfeempfänger(Änderung der aktuellen Situation) vorzuliegen. Jedoch wird auch seitens des Jobcenters im Ostalkreis die Ansicht vertreten, dass ein derzeit bestehender Verzögerungseffekt nicht ausgeschlossen werden könnte, für den Fall, dass sich die Zugangsvoraussetzungen herumsprechen.

 

 

Sollte die Rechtslage insgesamt bekannt werden, besteht die große Gefahr, dass auch der Ostalbkreis nach Wegfall der Arbeitsmarktbeschränkung für abhängig Beschäftigte verstärkt Zuzüge in prekäre unselbständige Beschäftigungsverhältnisse  (Imbisse, Reinigungsunternehmen, Zeitarbeitsfirmen) verzeichnen wird, die dann aus SGB II - Mitteln aufgestockt werden müssten.

 

Sobald eine Erwerbstätigkeit, egal ob selbst- oder unselbständig, vorliegt, aus der ein nicht nur völlig untergeordnetes Einkommen bezogen wird (wobei die Grenze laut Rechtsprechung bereits bei 200 €/Monat liegt), besteht der Anspruch auf uneingeschränkten Zugang zu allen Sozialleistungen in Deutschland. Selbst diese sichern den Zugezogenen aus diesen beiden Balkanstaaten, aber auch solchen aus Griechenland oder anderen südeuropäischen Staaten, einen höheren Lebensstandard als sie ihn durch Erwerbstätigkeit in ihren Heimatländern erreichen könnten. Daher ist damit zu rechnen, dass selbst bei Arbeitsplatzverlust, der bei prekären Arbeitsverhältnissen nicht unwahrscheinlich ist, sich eine Rückkehr in die Heimatländer - anders als derzeit in Spanien und Italien bezogen auf Gastarbeiter aus Rumänien und Bulgarien beobachtet - als unattraktiv erweist. Vielmehr ist auch damit zu rechnen, dass auch die bislang in Südeuropa beschäftigten und von der dortigen Wirtschaftskrise betroffenen Staatsangehörigen aus Rumänien und Bulgarien nach Wegfall der Zulassungsbeschränkung in Deutschland ihr Glück versuchen werden. Bei der Ausländerbehörde des Landratsamtes ist seit kurzem bereits eine von Spanien kommende rumänische Familie registriert.

 

Im uneingeschränkten Arbeitsmarktzugang, verbunden mit der ansonsten im übrigen Europa herrschenden Wirtschaftsrezession, kann aber auch die Chance bestehen, dass durch den Wegfall bisheriger rechtlichen Hürden gerade auch qualifizierte Arbeitskräfte aus diesen Balkanstaaten verstärkt den Weg nach Deutschland suchen, um dem hiesigen Arbeitsmarkt ihre dringend benötigten Fachkenntnisse zur Verfügung zu stellen.

 

Anlagen

 

 

Sichtvermerke

 

Geschäftsbereichsleiter

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Klement

 

 

Dezernent VII / Sozialdezernent

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Wagenblast                                          Rettenmaier

 

 

Dezernat II

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Kurz

 

 

Landrat

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Pavel