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Vorlage - 084/08  

 
 
Betreff: Therapieeinrichtungen für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche
Status:öffentlich  
Federführend:Geschäftsbereich Jugend und Familie   
Beratungsfolge:
Jugendhilfeausschuss Kenntnisnahme
08.07.2008 
Sitzung des Jugendhilfeausschusses zur Kenntnis genommen   

Antrag der Verwaltung

Antrag der Verwaltung

 

Kenntnisnahme

Sachverhalt/Begründung

Sachverhalt/Begründung

 

I. Ausgangssituation und Allgemeines

 

Strukturelle Veränderungen wie der gestiegene Anteil der Trennungs- und Scheidungskinder sowie Kinder bei Alleinerziehenden, die vielfältigen Formen des Zusammenlebens neben der „traditionellen Familie“, die veränderte Rollenaufteilung zwischen Männern und Frauen, der Wechsel von Kindern zwischen verschiedenen Familienformen, materielle Armut als eine zum Teil langfristige Lebenserfahrung von Kindern, ein gleichzeitig kommerzialisierter Freizeitbereich, an dem sich viele Kinder nicht wie sie es sich wünschen beteiligen können und ein erheblicher Einfluss der Massenmedien bestimmen heute u.a. das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen.

 

Da es eindeutige gesellschaftliche Orientierungsmuster nicht mehr gibt, sind Eltern in besonderer Weise gefordert, ihre Kinder zu unterstützen und zu fördern, damit deren Lebensplanung und Identitätsentwicklung gelingen kann. Jugendhilfe hat sich heute mehr denn je an den vielgestaltigen Lebensformen und ihren Auswirkungen zu orientieren. Die Förderung der Erziehung in der Familie erfährt eine neue Qualität. Forschungsergebnisse zeigen, dass 1/3 der Eltern in der Erziehung ihrer Kinder verunsichert sind.

 

Die kontinuierlich gestiegene Nachfrage bei der Erziehungs- und Familienberatung und die in den vergangenen Jahren stetige Zunahme an psychischen Störungen sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern und Jugendlichen, die sich aus den Wartelisten bei den Fachärzten und Therapeuten ablesen lässt, sind als Indiz für diese gesellschaftliche Herausforderung zu bewerten.

 

Im Rahmen der Haushaltsberatung im November 2007 beantragte Kreisrat Ulrich Zumhasch für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen einen Situationsbericht zu Therapieplätzen im Ostalbkreis mit folgender Begründung:

 

„Wir haben im Ostalbkreis ein sehr umfängliches und oft auch dichtes Netz an Beratungsangeboten und kurzzeitigen Unterstützungen. Von Hilfen bei Familienkrisen, Scheidungen, über Alkohol und anderen Suchtkrankheiten bis hin zur Beratung bei psychischen Störungen und Gewaltprävention in Schulen, deren Präventionsstelle, so kann ich aus eigener Erfahrung sagen, wirklich gut arbeitet.

Trotzdem fehlt uns im Kreis etwas: Nämlich diejenigen, die begleitende oder anschließend an Beratung auch Therapieangebote machen. Man mag darüber streiten, ob es Aufgabe der öffentlichen Hand ist auch Therapien anzubieten, aber es kann nicht sein, dass unsere Beratungsstellen, unser Beratungsnetz nach zwei, drei Treffen einer hilfesuchenden Familie mit einem essgestörten Kind oder einem Kind mit ADHS, dem jetzt ein Verhaltenstraining gut täte, sagen muss: ´Es tut mir leid, wir machen nur Erstberatung; für Therapie haben wir zwar das Wissen, aber keine Zeit oder sind nicht zuständig`.

Aus unserer Sicht muss sich der Ostalbkreis unter Einbindung niedergelassener Ärzte und Therapeuten weiter entwickeln. Es fehlt in vielen Bereichen an Therapieplätzen. Wir möchten uns gerne über das Thema im Jugend- und Sozialausschuss nach einem Bericht der Verwaltung unterhalten. Gleichzeitig beantragen wir die Einrichtung eines Sozial Pädiatrischen Zentrums zur möglichst frühzeitigen interdisziplinären Hilfe an einem der Kreiskrankenhäuser. Uns geht es um den inhaltlichen Aspekt: Der koordinierten, frühzeitigen und erreichbaren Hilfe für Familien. Ein SPZ ergänzt mit seiner Aufgabenstellung auch die Initiative ´Guter Start ins Kinderleben`.“

 

II. Allgemeine Grundlagen

 

Der im Jugendhilferecht formulierte Nachrang gegenüber der Selbsthilfe und den Leistungen anderer, gehört zu den Strukturprinzipien der öffentlichen Fürsorge, der auch die öffentliche Jugendhilfe zuzurechnen ist. Insbesondere in der gesetzlichen Krankenversicherung normierte der Gesetzgeber:

 

Ø      Versicherte haben gem. § 11 Abs. 1 SGB V Anspruch auf Kassenleistungen zur Verhütung einer Krankheit bzw. deren Verschlimmerung, zur Früherkennung sowie zur Behandlung einer Krankheit und

Ø      Versicherte haben gem. § 11 Abs. 2 SGB V auch Anspruch auf Rehabilitationsleistungen, um einer drohenden Behinderung (als Krankheitsfolge) vorzubeugen, sie nach Eintritt zu beseitigen, zu bessern oder eine Verschlimmerung zu verhüten und

Ø      Versicherte haben gem. § 11 Abs. 4 SGB V einen Anspruch auf ein Versorgungsmanagement insbesondere zur Lösung von Problemen beim Übergang in die verschiedenen Versorgungsbereiche. Die betroffenen Leistungserbringer sorgen für eine sachgerechte Anschlussversorgung und übermitteln sich gegenseitig die erforderlichen Informationen. Sie sind zur Erfüllung dieser Aufgabe von den Krankenkassen zu unterstützen.

 

Der Ostalbkreis hat mit seiner Konzeption zur Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche einige klarstellende Regelungen zur praktischen Verfahrensweise getroffen.

 

Bei Verdacht auf seelische Störungen bei einem Kind wenden sich die Eltern immer zuerst an ihren Hausarzt/-ärztin. Dieser veranlasst die Vorstellung des Kindes bei

 

Ø      einem Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie oder

Ø      einem Kinder- und Jugendpsychotherapeuten oder

Ø      einem Arzt oder psychologischen Psychotherapeuten, der über besondere Erfahrungen auf dem Gebiet der seelischen Störungen von Kindern und Jugendlichen verfügt.

 

Diese erstellen aufgrund der gesetzlichen Vorgaben eine Diagnostik nach einem weltweit gültigen Schema der Weltgesundheitsorganisation. Zu beachten ist die gesetzliche Vorgabe im Kinder- und Jugendhilfegesetz, dass die diagnostizierende Fachkraft und die Einrichtung, der sie angehört, nicht gleichzeitig die Hilfe und ggf. Therapie erbringen soll. Im Ostalbkreis sind dies folgende Personen und Stellen:

 

Fachärzte:              Dr. med. Ulrike Detzner-Reiter in Aalen

                             Dipl.-Psych. Rainer Lakaschus in Schwäbisch Gmünd

 

Klinik:                    St. Anna-Virngrundklinik - Kinder- und Jugendpsychiatrie-

                             Institutsambulanz in der Klinik in Ellwangen

Institutsambulanz in der Beratungsstelle von St. Canisius in Schwäbisch Gmünd

                            

 

Kinder- und Jugendpsychotherapeuten:

                             Heike Frey, Schwäbisch Gmünd

                             Wolfgang Frey, Waldstetten

                             Dr. rer. soc. Dipl.-Psych. Thomas Fuchs, Schwäbisch Gmünd

                             Dipl.-Soz.-Päd. (FH) Gerda Huber, Aalen

                             Monika Koch, Ellwangen

                             Elisabeth Schörry-Volk, Schwäbisch Gmünd

Dipl.-Psych. Reinhild Sporleder-Kirchner, Schwäbisch Gmünd

Dieter Volk, Schwäbisch Gmünd

Dipl.-Soz.-Päd. Regina Wiedemann, Böbingen

Dipl.-Psych. Annegret Drescher, Aalen

Dipl.-Psych. Hanna Buck, Schwäbisch Gmünd

Dipl.-Psych. Dr. Knapp, Schwäbisch Gmünd

Dipl.-Soz.-Päd. Andrea Baur, Lorch

Dipl.-Psych. Odalrik Manalt-Bühler, Mögglingen

 

Vom Ostalbkreis sonstige zur Stellungnahme nach § 35a SGB VIII anerkannte Personen:

Dipl. Psychologe Markus Hirsch, Beratungsstellen St. Canisius

 

Dem ärztlich/therapeutischen Bereich aus dem Krankenversicherungsrecht kommt die Aufgabe zu, auch seelische Störungen zu diagnostizieren und zu behandeln u.a. mit dem Ziel, die Entstehung von Behinderungen zu vermeiden.

 

Im Ostalbkreis ist dies aufgrund fehlender Fachärzte im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie bzw. zugelassener Therapeuten nicht zeitgerecht möglich (lange Wartezeiten, bis zu 12 Monaten). Die Eltern steuern zur Behandlung und Diagnose auf die wenigen Stellen zu und erhöhen so dort die Wartezeiten zusätzlich. Viele Eltern weichen deshalb inzwischen auf Stellen außerhalb des Ostalbkreises aus ( z.B. Sozialpädiatrische Zentren in der Umgebung). Zeitliche Verzögerungen von einigen bis zu vielen Monaten sind inzwischen keine Seltenheit. Die Einrichtung einer Institutsambulanz der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der St. Anna-Virngrundklinik hat zwischenzeitlich für eine leichte Entspannung gesorgt, reicht aber bei weitem noch nicht aus.

 

Wenn aufgrund einer mehr als 6 Monate anhaltenden seelischen Störung eine Einschränkung des Kindes in seinen Lebensbezügen droht oder bereits besteht (Teilhabefähigkeitseinschränkung) spricht man von einer drohenden oder bestehenden seelischen Behinderung. Die Feststellung der Teilhabefähigkeitseinschränkung und damit die Feststellung der drohenden oder seelischen Behinderung hat der Gesetzgeber am Ende des Verfahrens durch das Jugendamt vorgesehen.

 

Da es wie geschildert nicht ausreichend Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten im Bereich des Krankenversicherungsrechts im Ostalbkreis gibt, können aus den seelischen Störungen seelische Behinderungen werden, um die sich die Jugendhilfe kümmern muss.

 

Um Kindern mit seelischen Störungen nicht weitere Wartezeiten zuzumuten und damit ihre Entwicklung zu gefährden, gewährt das Jugendamt, wenn die erforderlichen ärztlichen Diagnosen durch die vom Gesetz vorgesehenen Stellen vorliegen und eine drohende oder bestehende Behinderung festgestellt werden kann, zeitgerecht Eingliederungshilfen in Form von zielgerichteten ambulanten Interventionen bei den nachfolgenden Stellen:

 

Leistungserbringer für derartige Eingliederungshilfen im Bereich der Jugendhilfe sind das PTE (Pädagogisch Therapeutische Einrichtung), Frau Schmid, in Schwäbisch Gmünd, die Lerntherapeutin Frau Herkommer, in Böbingen, der Legasthenie-Arbeitskreis (Legasthenie = Lese- und Rechtschreibstörung) in Nördlingen oder andere Institutionen außerhalb des Ostalbkreises wie z.B. das Dyskalkulie-Zentrum (Dyskalkulie = Rechenschwäche) in Stuttgart. In Einzelfällen wird der Eingliederungshilfebedarf in Form von Integrationshilfen im Kindergarten und in der Schule umgesetzt. 

 

Von der Psychologischen Beratungsstelle des Landkreises wird eine Gruppe (SiEsta) für bis zu 10 Eltern mit AD(H)S-Kindern angeboten.

 

Bei der Schulpsychologischen Beratungsstelle des Landkreises ist eine Gruppe für AD(H)S-Kinder geplant.

 

 

III. Erfahrungswerte der Gesundheitshilfe und der Erziehungsbera-

     tungsstellen

 

Der Geschäftsbereich Gesundheit berichtet, dass sich insbesondere im Bereich der Frühförderung die Infrastruktur gegenüber der Vorjahre verbesserte. Er verweist insbesondere auf die Bereiche wie Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie. Ein Sozialpädiatrisches Zentrum als fachlich sinnvolle Ergänzung des Angebotes konnte bisher nicht realisiert werden.

 

Die Leiter der Erziehungsberatungsstellen bestätigen gleichlautend die Unterversorgung bzgl. geeigneter psychotherapeutischer Hilfen bzw. die besonders langen Wartezeiten, die bei allen Therapeuten derzeit zwölf Monate und mehr betragen. Die Folge ist, dass alle Beratungsstellen im Ostalbkreis im Rahmen der vorhandenen Ressourcen diese Beratungsfälle längere Zeit betreuen und auch in Einzelfällen therapeutisch arbeiten. Einige Beispiele für Fälle mit psychotherapeutischem Bedarf:

 

Ø      Kind aus hochstrittiger Scheidungsfamilie mit emotionalen und körperlichen Auffälligkeiten

Ø      Jugendliche nach Suizidversuch, die von der Klinik mangels Therapiemöglichkeit an die Beratungsstelle verwiesen wurden

Ø      Mutistisches Mädchen (Schweigen bei intaktem Sprachvermögen) das übergangsweise in Spieltherapie behandelt wurde und dann aber zwei Jahre in Behandlung blieb

Ø      Mädchen mit Autoaggressionen, das nach 9 Monaten auf der Warteliste einen Platz bekommen hätte, aber der Wechsel und Beziehungsabbruch nicht zu verantworten war

Ø      Kinder nach sexuellem Missbrauch oder bei Verdacht

Ø      Kinder mit psychisch krankem Elternteil

 

Die Beratungsprozesse benötigen in aller Regel zwei bis zehn Termine. Insbesondere Kinder und Eltern in Not werden keinesfalls „weggeschickt“. Allerdings verweisen die Leiter auf den eigentlichen Aufgabenkatalog der Erziehungsberatung und die Personalkapazitäten, die eine Ausweitung therapeutischer Angebote, z. B. für Kinder mit ADHS, nicht zulassen.

 

 

IV. Handlungsbedarf

 

Landrat Pavel wandte sich im Dezember 2006 persönlich an die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) und verwies auf den seit Jahren bestehenden großen Mangel in der psychotherapeutischen Versorgung. Er bat nachdrücklich diesen Umstand bei den Planungen für die Region Ostwürttemberg zu berücksichtigen.

 

Die Stellungnahme der KVBW - Bezirksdirektion Stuttgart - verdeutlicht den Widerspruch einer „gesetzlich geschuldeten ausreichenden Versorgung“ und den „bedingt durch die Initiativen des Gesetzgebers schwindenden Möglichkeiten“ für die Zukunft eine Verbesserung zu erzielen. Des Weiteren wird festgestellt: „Insbesondere die Rahmenbedingungen für die freiberufliche ärztliche Tätigkeit haben sich in den letzten Jahren erheblich verschlechtert, so dass besonders im ländlich strukturierten Bereich immer weniger junge Ärzte ihre Zukunftschancen in der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung sehen. So ist auch im Ostalbkreis im Bereich der Psychotherapie festzustellen, dass der bedarfsplanerisch noch mögliche Zuzug von 13 Fachärzten für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie ungenutzt bleibt.“ Ungewisse Zukunftsoptionen und dauernde gesetzgeberische Initiativen mit existenzbedrohlichen Auswirkungen werden als Hindernisse für eine offensichtlich notwendige Veränderung benannt.

 

Bezüglich der Einrichtung eines Sozialpädiatrischen Zentrums (SPZ) an der Kinderklinik des Klinikums Schwäbisch Gmünd gab es bereits 2004 eine Anfrage an die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW). Die KVBW teilte daraufhin abschlägig mit, dass nach Rückkopplung mit den Landesverbänden der Krankenkasse kein Bedarf für ein zusätzliches SPZ in der Region Ostwürttemberg gesehen wird und in den umliegenden SPZ’s Schwäbisch Hall und Göppingen noch ausreichende Kapazitäten zur Aufnahme von Patienten bestünden.

 

Diese Auffassung stand schon im Jahre 2004 in krassem Widerspruch zur Beurteilung der Situation durch die in Schwäbisch Gmünd niedergelassenen Ärzte.

 

Ausgehend von einer Diskussion im Krankenhausausschuss wird die Verwaltung mit dieser Thematik nochmals auf die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg zugehen.

Finanzierung und Folgekosten

Finanzierung und Folgekosten

 

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Anlagen

Anlagen

 

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Sichtvermerke

 

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Funk


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Dezernat II

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Hubel

Landrat

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Pavel